Samstag, 8. Oktober 2016

Der Raum ist die Lösung!

Panopticon
Wenn man Inklusion in Schule konsequent zu Ende denkt, dann ist sie nur möglich, wenn man die Schule als Raum radikal hinterfragt. Das fängt bei der Barrierefreiheit an und hört bei der Sitzordnung noch lange nicht auf. 
Den Raum als 3. Pädagogen gilt es zu entdecken. In seinen vielfältigen Möglichkeiten, seinen Chancen, seiner geheimnisvollen Kraft, Dinge so oder ganz anders zu leiten. 

Laut Günther Anders ist Raum eine Grundform der Behinderung. Michel Foucault setzt den gesellschaftlichen Raum mit einem lebenden Tableau gleich, er ist ihm zufolge sowohl Machttechnik als auch Wissensverfahren. Doch was geht uns das an?
Es bedeutet für uns Pädagogen Entscheidendes, nämlich, dass Raum so viel mehr ist, als ein bloßer Behälter von Stühlen, Tischen, Schränken, Tafeln, Kleiderhaken usw. 
Aus der Geografie kenne ich vier Konzepte Raum zu begreifen. Jedes dieser Konzept kann meines Erachtens auch auf Schulräume angewandt werden. Dabei werden seitens der Räume an uns PädagogenInnen stets völlig neue Fragen herangetragen. Das macht das Denken in diesen Konzepten so interessant.

1. Der Raum als Behälter
Beim Raum als Behälter geht man davon auf, dass der Raum unabhängig von den materiellen Körpern besteht. Er dient quasi als Plattform für Gegenstände und Prozesse. Als PädagogInnen ließen sich folgende Fragen exemplarisch ableiten:
  • Welche Prozesse finde ich pädagogisch wünschenswert (Gruppenarbeit, Präsentationen)?
  • Welche Gegenstände benötige ich, um die gewünschten Prozesse zu fördern (verschiebbare Tische, Smartboards)?

2. Der Raum als Relation (Distanz-Relations-Modell)
Dieses Konzept begreift Raum nicht mehr als etwas Absolutes. Raum ist vielmehr ein System von Lagebeziehungen materieller Objekte, welches gesellschaftliche Wirklichkeit schafft. Fragen ließe sich beispielsweise:
  • Wie sollen die Interaktionen in diesem Raum aussehen (Welche Rolle des Lehrers ist wünschenswert - klassischer Lehrer oder eher Lernbegleiter)?
  • Wie muss ich die Gegenstände zueinander anordnen (Ordnung der Dinge), um die gewünschten Interaktionen zu ermöglichen (klassischer Lehrer = Lehrertisch zentral, vor der gesamten Klasse oder Lernbegleiter = Lehrertisch an der Seite verschwindend)?

3. Der Raum als Ergebnis von Wahrnehmung
Dieses Konzept denkt den Raum nicht mehr physikalisch, sondern subjektzentriert. Es gibt nicht mehr den Raum, die Wirklichkeit, sondern Räume sind wahrnehmungsabhängig. Unsere Wahrnehmung aber, ist an unsere Erwartungen (auch Wissen und Vorerfahrungen) geknüpft und andersherum. Das bedeutet auch, dass die menschliche Handlung je nachdem ausfällt, ob den Erwartungen an den Raum ent- oder widersprochen wird. Folgende beispielhaften Fragen wären in diesem Kontext sinnvoll:
  • Welche Erwartungen haben die SchülerInnen an den Raum, um ihre Ziele verfolgen und ihren Bedürfnissen gerecht werden zu können (Angstfreies Klima, sehr individuelle Ziele und Bedürfnisse)?
  • Wie kann ich die SchülerInnen in die Raumgestaltung einbeziehen (Partizipation), damit ihre individuelle Raumwahrnehmung ihre Lernprozesse positiv beeinflusst (individuell gestaltete Rückzugsmöglichkeiten)?
Die Notwendigkeit der Einbeziehung der SchülerInnen wird deutlich, wenn man als LehrerIn einmal den Versuch starten möchte, eine Antwort darauf zu finden, welche Erwartungen an einen Klassenraum ein Schüler mit Autismus, eine Schülerin aus gewalttätigem Elternhaus oder ein gehbehindertes Kind hat. Können wir diese Frage besser beantworten als die betreffenden Kinder selbst?

4. Raum als Element der Kommunikation und Handlung
Dieses Konzept geht davon aus, dass Räume erst durch soziales Handeln von Subjekten entstehen.   Diese beziehen mit ihrem alltäglichen Handeln die Welt einerseits auf sich, andererseits gestalten sie diese mit ihren Handlungen auch materiell und symbolisch.
Eine diesbezügliche Denkaufgabe könnte helfen, dass Konzept zu verstehen: Welche Angsträume in Schule gibt es für ein Mobbingopfer? Die schlecht einzusehende Ecke im Hof, der Schulweg, der Klassenraum, die Umkleidekabine der Sporthalle. Diese "Räume" konstituieren sich als Räume für das Opfer nicht als Behälter, nicht durch Lagerelationen und auch nicht vordergründig (wenngleich nicht zu wenig) durch die eigenen Wahrnehmung, sondern zu aller erst durch die verschiedenen, soziale Interaktionen zwischen Tätern und Opfer. Fragen könnten demzufolge exemplarisch wie folgt lauten:
  • Welches soziale Klima soll an unserer Schule herrschen?
  • Was ist zu unternehmen, damit die SchülerInnen die gewünschten sozialen Handlungen erlernen (soziales Lernen)?
Die Frage an den Raum ist letztlich zu einer Frage an die Handlung geworden. Das ist spannend!


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