Dienstag, 17. April 2018

Es gibt keinen Widerstand!

Schule verändern zu wollen kann so mühsam sein.
So zäh. 
So hitzig.
So kleinklein.
So langwierig.
So zermürbend.
So sisyphoshaft. 

In Schule treffen verschiedenste Interessengruppen aufeinander. Sie ringen um knappe Ressourcen, haben zum Teil widersprüchliche Bedürfnisse und ständigen Zeitdruck. Wer Schulentwicklung betreiben will, tut dass meist als ein Oben drauf - auf Kosten eigener Ressourcen, und zwar jeglicher Art.
Impulse laufe nicht selten wie folgt ins Leere:

Lasst uns kompetenzorientierten Unterricht machen! - "Kompetenzen? Alter Wein in neuen Schläuchen!" 
Lasst uns morgens einen gleitenden Unterrichtsanfang versuchen! - "Also später anfangen? Dann komm ich ja noch später nach Hause!"
Lasst uns ein Trainingsraumkonzept entwickeln! - "Und wer soll das dann umsetzen? Dafür haben wir keine Ressourcen."
Lasst uns mehr offenen Unterricht wagen! - "Also individualisierter und selbstständiger? Klappt mit unseren SchülerInnen nie!"
Lasst und Fächer abschaffen und mehr projektorientierten Unterricht machen! - "Soll ich dann auch Biologie und Deutsch machen? Dafür bin ich nicht ausgebildet."
Lasst und die Noten abschaffen! - "Dann haben wir gegen(!) die SchülerInnen überhaupt nichts mehr in der Hand."
Lasst uns...! - "Nix da! Das haben wir schon immer so gemacht.",  
Lasst uns ....! - "Irgendwann reicht´s auch."

So weit das Auge blickt, nichts als WIDERSTÄNDE!
Doch ist das so? Kann das wirklich so sein?

Eine interessante Antwort auf diese Fragen ergibt sich in einer Begegnung mit Jörg Kappel.
Jörg Kappel ist Systemischer Supervisor und Coach, Autor eines kleinen, lohnenden Aphorismenbuches sowie Betreiber der Seite:  www.fairantworten.de.  Von ihm stammen folgende bemerkenswerte Zitate:
  • Ein Nein ist immer auch ein Ja zu etwas anderem.
  • Widerstand gehört zu Entwicklungsprozessen dazu. Sie sind Zeichen guter Entwicklung.
  • Widerstand meint: „So nicht!“, „Jetzt nicht!“, „Du nicht!“ – Widerstände sind demnach auch Lösungsversuche.
  • Widerstände haben meist nichts mit einem selbst zu tun. Und wenn doch, so haben sie tatsächlich etwas mit einem selbst zu tun.
Zusammenfassend geht Kappel so weit und behauptet:
"Es gibt keinen Widerstand. Er wird erst zu dem, wenn ich ihn als solchen bewerte."

Und Kappel geht weiter. Statt ein NEIN als Widerstand zu betrachten, fordert er uns dazu auf, unsere Lösungsstrategien zu hinterfragen und ggf. zu ändern.
Der Andere mit seiner womöglich ablehnenden Meinung ist niemand, den es zu überwinden gilt (Mehrheitsbeschluss) oder zu überreden (Wettstreit der Argumente). Vielmehr ist er Teil all derer, die später eine gemeinsame Lösung mit ihrer eigenen Energie und Kraft mittragen sollen. 
In der Begegnung mit dem Anderen sind laut Kappel deshalb drei Schritte zu beachten:
  1. Verstehen (was versucht der andere mir mitzuteilen)
  2. Annehmen (das, was der andere sagt, hat für das Suchen einer gemeinsamen Lösung einen gleichrangigen Wert)
  3. Umgehen (wie binde ich die Befindlichkeiten und Hinweise des Anderen in den Prozess ein, ohne meine Ziele aus den Augen zu verlieren).
Es ist offensichtlich, dass ich diese Schrittfolge nur in der Lage bin ernsthaft einzuhalten, wenn ich ins Zentrum meiner Kommunikation das Gegenteil dessen stelle, was in Schule sehr oft den Prozess dominiert: Anstatt Antworten zu geben, sollte ich FRAGEN STELLEN.

"Alter Wein in neuen Schläuchen" - Warnt der andere mit diesem Hinweis davor, zu viel Energie in etwas zu stecken, was in gewisser Weise in der Schule schon verankert ist? Oder sieht er gar etwas etabliert, worauf man kluger Weise aufbauen könnte?
"Irgendwann reicht´s auch." - Gibt der Andere mit diesem Statement vielleicht einen Hinweis darauf, dass die Schule an zu vielen Baustellen gleichzeitig arbeitet? Kommt hier der Wunsch zum Ausdruck, bereits bestehende Baustellen erst einmal abzuarbeiten? Sollte man eventuell zu aller erst darüber nachdenken, wo und wie man sich Entlastung schafft, um für das neue Projekt Zeit und Energie freizuschaufeln?

Die METHODE des Fragens führt zu etwas ganz Entscheidendem: Sie führt weg von WERTUNG.

Nicht zu werten fällt uns Menschen sehr schwer. LehrerInnen vielleicht um ein Vielfaches schwerer. Aber Wertung schafft in menschlicher Kommunikation meist Probleme.
In ein "Irgendwann reicht´s auch." ließen sich ohne Weiteres Attribute wie faul, überfordert und bequem hineininterpretieren. Der Andere wird regelrecht abqualifiziert, fast schon entwertet. Aber wie soll auf dieser Basis miteinander lösungsorientiert kommuniziert werden können?

Fragen stellen anstatt zu werten! Das ist ein Schlüssel lösungsorientierter Kommunikation.
Es bedeutet auch - ganz im Sinne der Inklusion - nach Hindernisse, Grenzen, Barrieren zu suchen und sie ans Licht zu bringen. Sie dann gemeinsam beiseite zu räumen, verspricht letztlich auf sehr nachhaltige Art und Weise entscheidende Ressourcen freizulegen.

Schule verändern zu wollen kann so mühsam sein.
Widerstände so weit das Auge blickt.
Aber was, wenn sich unsere Kommunikation ab heute wie folgt ändern täte: von einem defizitorientierten zu einem ressourcenorientierten, von einem vordergründig antwortenden zu einem tiefgründig fragenden, von einem (be)wertenden zu einem wertschätzenden Miteinander?

Das Zähe könnte sich dann womöglich zum Bereichernden, 
Das Hitzige zum Leidenschaftlichen,
Das Kleinklein zum Tiefgängigen,
Das Langwierige zum Ausdauernden,
Das Zermürbende zum Funkenschlagenden.
Das Sisyphoshafte zum Menschlichen
wandeln. 


Literaturempfehlung zum Thema: