Donnerstag, 24. November 2016

Außergewöhnliche Schulen

Jakob Muth
Morgen geht es mit der gesamten Weiterbildungsgruppe nach Hamburg. Zum Hospitieren. An Vorzeigeschulen zur Inklusion. Ich freu mich schon drauf! Es wird bestimmt spannend.
Konkret werden wir die:
besuchen. 
Eine unserer vorbereitenden Aufgaben ist, dass wir die Homepage unserer jeweiligen Hospitationsschule studieren sollen, um vorab wichtige Dinge zur Schulentwicklung und zum Schulprogramm zu erfahren. Allein dieses Nachlesen gibt derart viele Denkimpulse, dass man festhalten kann, dass gute Schulentwicklung neben dem Hospitieren auch ein genaues Studieren von Schulhomepages beinhalten sollte
Bei meinen Recherchen zur Max-Brauer-Schule bin ich beispielsweise auf die "Club of Rome Schulen" sowie die mit dem Jakob-Muth-Preis ausgezeichnete Schulen gestoßen. Beide Institutionen bieten durch entsprechende Kriterienkataloge (zum Beitritt oder zum Preiswettbewerb) starke Orientierungspfeiler für die eigenen Schulentwicklung.

Erinnert sei an dieser Stelle auch an die reformpädagogisch orientierten Schulen im Verbund "Blick über den Zaun".


Samstag, 19. November 2016

Paula-Fürst-Schule I

Lernen von den Besten

Am 04.11.2016 hospitierte ich an der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule Berlin in einer JÜL-Klasse (Jahrgangsübergreifendes Lernen, 1.-3. Klasse) bei Frau S.Mein Erster Eindruck war nahezu überwältigend. Der Klassenraum platzte vor Lernmaterial, Plakaten, Instrumenten, Ordnern, Schaugegenständen, und vielem mehr, nahezu aus allen Nähten. „Hier könnte ich weder unterrichten noch lernen!“ waren meine ersten Gedanken. Fasziniert war ich trotzdem. Dann ging es los. Nacheinander trudelten die Schüler ein und begannen fließend mit der Freiarbeit. Eineinhalb Stunden später stellte ich fest, dass es hervorragend funktioniert hatte. In meiner eigenen 7. Klasse dagegen ist es mit dem selbstständigen Arbeiten meist ein Krampf. Warum war das so? Was hatte die Lehrerin (sie war alleine) getan, welche Strukturen hatte sie gesetzt, damit selbstständiges Lernen erfolgreich gelingen konnte? Ich denke Folgendes ist wesentlich:

  • JÜL: Frau S. hat eigentlich nie eine neue Klasse, d.h. sie fängt eigentlich nie bei Null an. Ein Teil der SchülerInnen weiß stets schon Bescheid. Wo liegen welche Materialien? Was bedeuten welche Rituale? Wie beginnt die Freiarbeit und wo kann ich mir Hilfe holen? All das und vieles mehr wird von den älteren an die jüngeren SchülerInnen weitergegeben. Hinzu kommt, dass die Älteren den Jüngeren assistieren, ihnen auch inhaltlich ggf. weiterhelfen. 
  • Begrüßung: Die SchülerInnen treten nacheinander in die Klasse ein und werden individuell von der Lehrerin begrüßt. Eine initiale Begrüßung an alle entfällt. Was nicht heißt, dass sich die Lehrerin nicht auch an alle wendet, aber das macht sie nur, wenn sie auch von allen etwas Gleiches will. Es ist auffällig, frontaler Unterricht scheint klassischer Weise auch mit einer frontalen Begrüßung an alle, individualisierte Freiarbeit mit einer Begrüßung an den Einzelnen zu beginnen.  
  • Anfangsritual: Die SchülerInnen sollen am Anfang der Freiarbeit den Tagesplan in ihr Logbuch abschreiben sowie ihr individuelles Freiarbeitsziel. Damit schafft sich die Lehrerin quasi einen Puffer, denn die SchülerInnen werden natürlich unterschiedlich schnell fertig, so dass die Lehrerin die ersten schon beraten bzw. in die Spur helfen kann, während die anderen noch leise abschreiben. Auch ist sofort eine (leichte) Aktivität aller gewährleistet. 
  • Raum: Der Raum ist nicht klassisch gestaltet, sondern in mehrere Lernnischen unterteilt. Die Tafel bildet nicht das Zentrum des Raumes, sondern ein runder roter Tisch, an dem die Lehrerin sich oft zur Verfügung stellt. Die Tür steht offen. Während der Freiarbeit arbeiten mehrere SchülerInnen vor dem Raum in weiteren Lernnischen. Der Raum unterstützt also die angestrebte Aktivität bzw. Lernform. Zum Frontallernen wäre er nahezu ungeeignet. D.h. wer individualisierten Unterricht haben möchte, der muss sich auch räumlich neu orientieren. Von den SchülerInnen wird dies übrigens verlangt, denn sie haben keine klassische Sitzordnung. Jeder hat zwar einen zugewiesen Sitzplatz/Bereich, in den Phasen der Freiarbeit gilt dieser aber nicht. Vielmehr sitzen die SchülerInnen da, wo sie etwas am besten lernen können – die Sitzordnung richtet sich also nach den jeweiligen Bedürfnissen der SchülerInnen – also nach dem Wunsch nach Hilfestellung, dem Bedarf an Material, dem Ruhebedürfnis, nach Sympathie, Schutz- und Aufmerksamkeitsbedürfnis… 
  • Regeln: Frau S. hat die einzige Regel in einen goldenen Bilderrahmen neben die Tür gehängt. Die Regel ist simpel und kraftvoll, laut Frau S. ist sie gewisser Maßen eine Essenz ( „Eine inklusivere Regel gibt es nicht!“). In dem Bilderrahmen steht schlicht, aber in goldenen Lettern: Ich gebe mein Bestes! 
  • Materialangebot: Das Material- und Aufgabenangebot ist riesig! Und mindestens genauso wichtig, es ist auch haptisch! Nur Arbeitsblätter? Fehlanzeige! Stattdessen: Puzzleteile, mittels deren Hilfe man eine eigene Europakarte malt/ Ketten und Perlen zum Rechnen/ Zeitungen zum Erarbeiten der aktuellen Weltnews/ Buch und laminierte Karten zum Bestücken und Beschriften einer riesigen Afrikakarte/ Matherollen, die mit gelerntem Wissen anwachsen/ magnetische Stäbchen zum Bauen diverser geometrischer Figuren/ einen Rollteppich zum Belegen mit Mathelösungen/ usw. usf. Montessori! Grandios! Zudem, ein Scheitern aufgrund vergessener Arbeitsmaterialien ist nicht möglich, denn es gibt frei zugänglich Scheren, Kleber, Radiergummi, Stifte und Papier. 
  • Ruheritual: Es gibt ein Glöckchen. Wenn es ertönt, soll Ruhe einkehren. So etwas nutzen viele Lehrer, aber Frau S. nutzt es auf sehr interessante, andere Art und Weise: Wenn es einem Schüler zu laut wird, dann ist dieser angehalten nach vorne zu kommen und das Glöckchen zu läuten. Der Impuls geht also von den SchülerInnen aus. Sie übernehmen damit Verantwortung für ihr Lernen. Und sie üben kooperatives, soziales Verhalten, denn wenn jemand läutet, sind alle angehalten alles aus der Hand zu legen, die Augen zu schließen und leiser als bisher weiterzuarbeiten, wenn das Klingen des Glöckchens verstummt ist. Zusätzlich gibt es Kopfhörer/Ohrschützer, falls man absolute Ruhe wünscht, sie aber nirgends findet. 
  • Hilfestellungen/ Kooperation: Kein Schüler wird alleine gelassen! Überall an den Wänden und in den Lernnischen finden sich Hilfsschilder zu grundsätzlichen Dingen (Buchstabenschreibweise, Grundrechenarten etc.). Ein Sich-beschämt-Fühlen aufgrund nachgewiesener grundlegender Wissenslücken, das könnte hier in diesem Raum der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus sind die SchülerInnen angehalten die Freiarbeit zu zweit zu machen. Des Helfens und des Austauschs, des Redens über die Sache und damit des Lernens wegen. Zudem gibt es Trainer-Sportler-Tandems. Trainer sind SchülerInnen, die bereits eine gewisse Expertise aufweisen und den Sportler, der Motivation, Durchhaltevermögen und Grundlagen mitbringt (also kein Nichtskönner ist), auf ein neues Niveau hieven wollen. Dabei sollen sie selbst auch lernen. 
  • Lerndokumentation: Via Logbuch reflektierten die SchülerInnen ihr eigenverantwortliches Tun. Das Logbuch schien Dreh- und Angel-, aber auch Fix- und Orientierungspunkt für das Lernen der SchülerInnen zu sein. 
  • Noten: Die SchülerInnen bekommen keine Noten. Lernen bekommt hier ein anderes Fundament. Nicht für Noten wird hier gelernt, sondern für sich. D.h. auch, dass dieser notenfreie Raum kongruent mit der Idee des individualisierten Lernens geht. Denn: Noten bedeuten ja gerade eine Ausrichtung an der Norm, während individualisiertes Lernen eine Ausrichtung am Individuum, also sich selbst meint. 
  • Bedürfnisorientierung: Zu meiner Überraschung geht nach ca. einer Stunde das Licht aus und leise Musik ertönt. Entspannungszeit! Wie selbstverständlich legen einige SchülerInnen den Kopf auf den Tisch, andere holen ein Kissen. Kopf auf dem Tisch bedeutet, dass man massiert werden möchte. Die Lehrerin geht rum und massiert die Rücken der SchülerInnen. Diese haben geschlossene Augen, wirken völlig entspannt und v.a. sieht man ihnen an, wie wohl sie sich fühlen. Zum Teil bilden sich wahre Massierketten: Die SchülerInnen massieren sich gegenseitig. Es gibt sogar einen Massierdienst, der ist heute aber nicht aktiv. Die SchülerInnen und die Lehrerin so zu beobachten ist wahrlich berührend. So kann Schule sein. Angstfrei. An den Bedürfnissen der SchülerInnen orientiert. Da fällt mir auf, die SchülerInnen haben alle auch Hausschuhe an. Anschließend holt jeder sein Pausenbrot raus. Es wird gemeinsam gefrühstückt, gleichfalls ist die Stunde aber noch nicht zu Ende. 
  • Lehrerrolle: Die Lehrerin war toll! Warmherzig, freundlich, umsorgend, aber auch klar, präsent, ordnend, einfordernd. Und kollegial. So schwörte sie die Klasse bspw. ein, die nachfolgende Lehrerin zu unterstützen, da diese nicht Klassenlehrin sei und es demzufolge weniger leicht habe, da sie die Klasse nicht so gut kenne. Als ein Schüler einen anderen bei ihr „anschwärzen“ wollte, sagte sie: Schüler X ist Dein Klassenkamerad, nicht wahr? Du hältst also zu ihm und verpetzt ihn nicht. Du hältst zu ihm und wenn es sein muss, gegen mich. Ist das klar?!“ Summa Summarum war die Lehrerin ein nachahmenswertes Vorbild. 
  • Elternarbeit: Die Lehrerin nimmt die Bedürfnisse der Eltern wahr und geht auf diese ein. Bspw. hatten mehrere Eltern geklagt, dass ihre Kinder kaum was von der Schule erzählen und sie zudem nicht wissen, was der Stand des Lernens ist. Daraufhin führte die Lehrerin eine Hausaufgabe ein, die sie an ein emotionales Erlebnis knüpfte (treffen mit einem Dichter und Musiker). Diese Hausaufgabe gab den Eltern die Chance mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen und via Bemerkungen seitens der Lehrerin Einblicke in den Leistungsstand zu erhalten.

Abschließend muss ich sagen, dass mir die Zeit erneut (ähnlich wie in der Hospitation an der Heinrich-von-Stephan-Schule) seltsam erschien. Auch hier war es nur eine reguläre Doppelstunde, aber die Zeit kam mir dichter, intensiver genutzt vor. Über die Zeit würde ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt
nochmal gesondert nachdenken.



Auf den Lehrer kommt es an!

Man könnte gegen Wocken die Studie von John Hattie ins Feld führen, auch wenn mir bewusst ist, dass:

  • sich die Befunde nicht 1:1 auf die deutsche Schulwirklichkeit übertragen lassen, da sich Hatties Datengrundlage v.a. auf das angelsächsische Bildungssysteme bezieht. 
  • Kreativität oder Demokratiefähigkeit, der Sinn für Ästhetik und für das Soziale in Hatties Listen als Lernziele nicht auftauchen, da ihn nur messbare kognitive Fachleistungen interessierten.

Ich beziehe mich nachfolgend auf den Artikel aus der Zeit.

Am Ende seiner Studie stellt Hattie eine Art Bestenliste der wirkungsvollsten pädagogischen Programme zusammen. Ganz unten in der Tabelle: Äußere Strukturen von Schule und Unterricht. Die größten Unterschiede im Lernzuwachs bestehen nicht zwischen Schulen, sondern zwischen einzelnen Klassen, und das bedeutet: zwischen einzelnen Lehrern. Das ist Hatties zentrale Botschaft! Was SchülerInnen lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen Rahmenbedingungen, die Schulform oder spezielle Lehrmethoden – sind dagegen zweitrangig. Auf den guten Lehrer kommt es also an.


Für Hattie darf ein guter Lehrer kein bloßer Lernbegleiter sein, kein Architekt von Lernumgebungen. Will er etwas erreichen, muss ein Lehrer sich vielmehr als Regisseur verstehen, als »activator«, der seine Klasse im Griff und jeden Einzelnen stets im Blick hat. Auch dass die Individualisierung des Unterrichts per se eine hohe Lernwirksamkeit besitzt, kann man nach Hatties Befunden nicht sagen. Vielmehr sind folgende Lehrereigenschaften sehr erfolgsversprechend:
  • stringenten Klassenführung
  • Transparenz und Klarheit (SchülerInnen also verständlich machen könne, was man als Lehrer von ihnen will)
  • Perspektivwechsel und permanente Selbstreflexion (»Ein guter Lehrer sieht den eigenen Unterricht mit den Augen seiner SchülerInnen«/ Wenn meine Klasse nicht vorankommt, sollte die Frage lauten, was mache ich falsch, was kann ich ändern?).
  • Feedbackkultur pflegen (Kein anderes Instrument kann in Hatties Ranking eine größere Effektstärke aufweisen als die systematische Selbsteinschätzung von SchülerInnen. Hattie predigt eine Kultur des »Feedbacks«, kein Begriff fällt häufiger in seinem Buch.)
  • Fehler schätzen (Fehler als die eigentlichen Treiber allen Lernens/ »the essence of learning« begreifen).
  • Breites Repertoire an Unterrichtsstilen (besonders wirksam ist die »direkte Instruktion«, also der häufig als Lehrermonolog missverstandene Frontalunterricht. Auch der offene Unterricht kann durchaus ertragreich sein – wenn die SchülerInnen dem eigenständigen Lernen gewachsen sind und die LehrerInnen es gründlich vorbereiten und über seinen Verlauf penibel wachen. Dass beides jedoch anscheinend selten zutrifft, darauf verweisen Hatties Forschungsergebnisse. Jedoch, ein guter Lehrer verfügt für Hattie eh über ein breites Repertoire von Unterrichtsstilen, die er je nach Klasse ausprobiert, »evidenzbasiert« prüft und – wenn nötig – auch wieder verwirft. »There are no magic bullets«, sagt Hattie, es gibt keine pädagogischen Patentrezepte.)
  • Emotionale Seite des Lernens berücksichtigend (Ohne Respekt und Wertschätzung, Fürsorge und Vertrauen könne Unterricht nicht gelingen.)

Gute Pädagogen sind also wichtig. Die logische Schlussfolgerung: es gibt auch schlechte Vertreter des Metiers. Letztlich müssten wir laut Hattie also weniger unser Bildungssystem grundlegend umdenken, als vielmehr den Lehrer ins Zentrum allen Redens über Schule stellen. Denn, auf den Lehrer kommt es an! Die ZEIT fragt diesbezüglich: „Das klingt banal, (…). Doch warum glaubt die Politik noch immer, Lernergebnisse mit Strukturreformen verbessern zu können? Wieso blüht gerade in der deutschen Schuldebatte ein Methodenglauben?“ Man ist geneigt, nach der Begegnung mit Hans Wocken, sich letztere Frage selbst einmal zu stellen?



Indirekter Unterricht

Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Hans Wocken 
Am 14.10.2016 hielt Prof. Dr. Hans Wocken - jener Hans Wocken, der dem deutschen Bildungssystem mangelnde Inklusion bescheinigt - einen Vortrag über "Inklusiven Unterricht" an der FU Berlin. Ich persönlich habe diesen Vortrag als sehr bereichernd erlebt. Eloquent vorgetragen, mit ruhiger, schöner Stimme. Medien- und Anekdotengestützt. Dazu ein bunter Strauß an Maßnahmen, wie man ganz konkret inklusiven, d.h. für Wocken indirekten Unterricht gestalten kann. Das hat mir gefallen. Ebenso fand ich es ein sehr schönes Gefühl, nach Jahren des Schulalltages, mal wieder in einem Vorlesungsaal diese studentische Atmosphäre zu schnuppern.
Das Bild jedoch, das mir nach zwei Wochen Ferien noch immer im Kopf herumgeisterte, ist alles andere als positiv besetzt. Es handelt sich um dieses schreckliche Ampel-Ritual, was Wocken in seinem Vortrag positiv hervorhob: Vor den jeweiligen Tischen eines Lehrerzimmers standen Ampeln. Rot bedeutete, dass man den Lehrer gerade nicht ansprechen könne, Gelb war so eine Art Standby-Modus und bei Grün war der Lehrer dann so weit. Vor den Tischen geisterten Schüler herum. Schrecklich! Und kalt! Mechanisch irgendwie! Zu Tode strukturorganisiert, könnte man sagen. Es hatte etwas vom Nummernziehen auf dem Arbeitsamt. Fast schon kafkaesk. Man hätte den Schülern ja auch einfach beibringen können, höflich nachzufragen, kurz zu warten, Termine abzusprechen – sprich angemessen kommunizieren zu lernen. Stattdessen… Gar nicht auszudenken, die Ampeln kämen abhanden, bräuchte man dann einen Lehreransprech-Verkehrspolizisten?

Mechanisch. Kalt. Hm…Um ehrlich zu sein, dieser indirekte, delegierte Unterricht erweckt bei mir stets zweierlei – Interesse und Abneigung, letztlich also tiefgehende Ambivalenz. Es hat was mit diesem mechanisierten Unterrichtsgebaren zu tun, in dem der Lehrer hauptsächlich in die Rolle des Mentors und Begleiters zurücktritt. Manchmal fast ganz von der Bildfläche zu verschwinden scheint.
Ich selbst habe einen kleinen Sohn. Oftmals ertappe ich mich dabei, wie ich ihn anrege, indem ich die Dinge zu mehr mache als sie sind - sie förmlich aufblase, groß mache, ihnen Leben und vielleicht Faszination einhauche. Und noch viel öfter ist es umgekehrt der Fall. Die Vorstellung wir würden uns gegenseitig Lern- oder Spielarrangements hinlegen… Ich weiß nicht. Eher scheinen wir den Dingen gemeinsam Bedeutung zu geben. Durch Interaktion, Emotionen, Phantasie, Humor, gestreute Zweifel, usw. Vielleicht könnte er dies auch mit einem Gleichaltrigen, aber wäre das nicht eher wie Schwimmen im eigenen Saft? Ist meine Rolle als Lehrer, der ein anderes Überblicks- und Allgemeinwissen hat, nicht zu großem Teil auch die Emotionalisierung und damit einhergehend Eröffnung fremder Welten, d.h. dem Schüler fremde Welten?
Wocken meinte im an die Vorlesung anschließenden Workshop ja selbst, dass für ihn der indirekte Unterricht nicht alleinig stehen dürfe, sondern dass er stets durch direkten und kooperativen Unterricht flankiert werden müsse. Für mich klang dieser Nachschub von einem offensichtlichen Verfechter des delegierten Unterrichts nicht glaubhaft. Eher halbherzig.
Dabei verraten seine Methodikvokabeln schon so viel: Lernkontrakte! Die Sprache von Justiz und Wirtschaft. Oder Kompetenz-Raster, also eine Art (Raster-)Fahndung nach Kompetenzen! Ein Vermessen des lernenden Individuums. Welches Kind will das, will das von sich aus?

Es bleibt dabei. Ich bin ambivalent. Positiv in Erinnerung - und deshalb läuft dieser Artikel auch unter dem Label: Lösungen - ist mir die Friedensbrücke geblieben oder der Raum als 3. Pädagoge, oder die Think-Pair-Share-Methode, oder die Improtechnik des „Gebärdendolmetschers“, die mir wiederholt zeigt, wie fruchtbar Theatertechniken sein können. Letztere belegen meines Erachtens, dass Kultur in Schule gar nicht hoch genug gewertet werden kann, weil sie das leistet, was nicht zu kurz kommen sollte: Emotionalisierung und Identifizierung.



Mittwoch, 16. November 2016

Konzeptgruppe BLAU

Ich möchte Schule verändern! Zeitnah, zum Besseren, schülerorientiert, inklusiv - aber nicht um jeden Preis. Meine Erfahrung sagt mir, dass Schulentwicklung zäh und voller Widerstände ist. Denn die dafür zuständigen Schulgremien jeglicher Art sind auch immer Orte von Interessenskämpfen, Profilneurosen, Hierarchie- und Zuständigkeitsgedöns. Das verzögert, lähmt, frustriert! Wie also vorgehen?

Diese Frage hat mich in den letzten Wochen umgetrieben und ich habe letztlich Folgendes unternommen:
  • Gespräche in Hospitationsschulen über gelingende Schulentwicklung geführt
  • einen starken, positiv gestimmten und tollen Mitstreiter gefunden
  • weitere Gleichgesinnte per Gespräch und offener Mail gesucht, eingeladen und gefunden
  • einen (wenig genutzten) Raum zusammen mit unserem tollen Hausmeister für uns umgestaltet und methodisch aufgerüstet (Whiteboard montiert, Methodenkoffer angeschafft)
  • ein erstes Treffen organisiert
  • dem Kind einen Namen gegeben

Unsere Konzeptgruppe heißt: "Konzeptgruppe BLAU".
Wofür steht dieser Name? Vor allem für ins Blaue denken! Tabu-los, Grenzen-los, ohne störende Formalien und Hierarchien. Die Gruppe versteht sich als Ideenschmiede und Ideenpool. Offen für jede/n. Im Zentrum all unserer Überlegungen steht die Frage: Wie stellen wir uns die Schule der (nahen) Zukunft wünschenswerter Weise vor?

Und gestern war es nun so weit! Unser erstes Treffen! Fünf Personen an einem Tisch (zwei weitere Mitstreiter leider verhindert). Trotz unterschiedlicher Ideen und Ansätze, alles Gleichgesinnte! Was für ein schönes Gefühl.

Wie sind wir in unserem ersten Treffen vorgegangen:
  1. Vergewissern: Erzählen, warum jeder Einzelne der Einladung gefolgt ist (Beweggründe)
  2. Brainstormen: Auf Methodenkarten notieren, was wir konkret an unserer Schule angehen wollen (Wünsche; Arbeitsschwerpunkte; Ideen).
  3. Clustern: Die Methodenkarten an der Tafel besprechen und nach Schwerpunkten clustern.
  4. Ranken: Abstimmen darüber, mit welchem Schwerpunkt wir beginnen möchten und welcher Schwerpunkt warten kann/muss. Jeder durfte drei Stimmen abgeben, so entstand ein Ranking unserer sechs Schwerpunkte.
  5. Daten: Einen neuen Termin ausmachen, um mit unserem ersten Schwerpunkt starten zu können, ihn neu, verschieden, kontrovers, differenziert zu denken und von da aus Schritte anzubahnen, wie wir was, wann, konkret und möglichst unbürokratisch umsetzen.
Was soll ich sagen? Es fühlte sich toll an! Positiv. Offen. Freundlich. Miteinander. Vital. Wertschätzend. Sinnvoll. Strukturiert. Zielorientiert. Effektiv. Produktiv. Gleichwertig. Richtig.


Dienstag, 1. November 2016