Sonntag, 30. Oktober 2016

Die Sprache zählt.

Nachfolgende Gedanken beruhen z.T. auf Denkimpulsen von Prof. Dr. Ramseger sowie meiner Mentorin Frau André, die beide Behörden- und Verwaltungsprache nicht unkritisch gegenüber stehen. 

Sonderpädagoge. 
Sonder-pädagoge. Warum eigentlich sonder? Warum nicht Förder-Pädagoge? Man möchte doch fördern, unterstützen, stark machen. Andererseits, das sollte ja jeder Pädagoge/-in möchten, wäre also tautologisch. 
Warum also sonder, was meint man damit?
Meint man etwas den Sonderling, den es zu fördern oder gar abzusondern gilt? Dieses sonderbare Kind mit Behinderung? Dieses Individuum sondergleichen
Oder meint dieses sonder, dass der Pädagoge besonders sei, eine spezielle Ausbildung habe? Falls letzteres gemeint ist, ist diese Spezialisierung dann noch zeitgemäß? Ist sie Inklusion eher zu- oder doch eher abträglich, im Sinne von: Nimm Du mal dieses Kind, Du bist ja schließlich SonderpädagogIN...? Ich selbst bin mir da noch unschlüssig.

i-Kinder. 
Noch so ein Wort. Man meint die Inklusions-Kinder, also die mit einem Status oder einer Behinderung. i-Kinder hat was von Iiiiiiiieeeee-Kinder. Klingt nach "Igitt!" Zudem meint es Kinder, die inkludiert werden müssten. Dabei muss kein Kind inkludiert werden, wenn eine Schule inklusiv arbeitet. Inklusion gibt es - konsequent zu Ende gedacht - nämlich eigentlich nur ganz. Entweder alle Kinder werden in-klusive gedacht oder der Teil, der als "zu inkludieren" gefasst wird, wird durch dieses Denken ex-klusiv.

Weiteres mit fahlem Beigeschmack.
Ein Klassiker unter den Beschreibungen mit fahlem Beigeschmack ist wahrscheinlich das Brechen an der Norm mittels der Begriffe normal/unnormal und die oftmals einhergehende, manchmal folgenschwere Wertung: gesund/krank. Verniedlichende Bezeichnungen (wie Downies - für Menschen mit Trisomie 21) zielen derweil auf die Würde, das plumpe Duzen auf die Kommunikation in Augenhöhe.
Und so weiter und so weiter. Unsere Sprache. unser Denken und folglich unser Handeln sind voll von Anmaßungen gegenüber Menschen mit Behinderung. Manchmal ist uns/mir das gar nicht richtig bewusst.

Zur Bewusstmachung lädt eine interessante Webseite ein:
www.leidmedien.deVon daher stammt auch ein Leidfaden hinsichtlich möglichst zu vermeidender Beschreibungen.




Freitag, 14. Oktober 2016

Index für Inklusion (Schulentwicklung)

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonventionen durch die Bundesregierung Deutschland im Jahr 2009 ist Inklusion für deutsche Schulen verpflichtend geworden. Die Frage der Inklusion ist also keine Frage des Wollens weniger (sich hierfür zuständig fühlender PädagogInnen),  sondern eine Frage des Sollens aller PädagogInnen. Sie ist bindende Pflicht, nicht vernachlässigbares Recht. Insofern sind die Schulen ausnahmslos angehalten sich auf den Weg der Inklusion zu begeben.
Ein diesbezüglich wirksames Instrument für Schulentwicklung ist der Index für Inklusion. Im Vorwort heißt es:

"Dieser (...) Index für Inklusion stellt (...) einen Fundus dar, aus dem Schulen schöpfen können, (...), wenn sie vor der (...) Aufgabe der Selbstevaluation stehen. So muss nicht jede Schule das Rad der Schulentwicklung wieder völlig neu erfinden. Der Index macht Vorschläge, er ist kein Test für Schulen, die als Ergebnis bescheinigt bekommen, wie sehr - oder auch wie wenig - sie inklusiv sind. Er ist also kein Pflichtkurs, (...), sondern der Index bietet eine Systematik, die dabei hilft, nächste - und zwar angemessen große oder kleine, verkraftbare, realistische - Schritte in der Entwicklung zu gehen, zum Beispiel im nächsten Schuljahr."

Der Index ist also von Schulen als Instrument nutz- und modifizierbar. Für eine Standortbestimmung. Für die Entwicklung eines Schulprofils/-programms. Und für theoretische Überlegungen wie Inklusion praktisch gelingen kann. 
Er ist in fünf Kapitel unterteilt:
  1. Theorie
  2. konkrete Prozess-Vorschläge
  3. Materialien für die Analyse
  4. Fragebögen
  5. weiterführende Literatur und Glossar
V.a. die Fragebögen bieten Anlass für eine fruchtbare Diskussion. Sie sollten nicht nach dem Prinzip JA/NEIN abgehakt werden, sondern als Möglichkeit verstanden werden, sich an der jeweiligen Schule bereits genutzter Inklusionsperlen bewusst zu werden sowie sich auf neue, weiterführende Ziele zu verständigen.


Neben dem sehr umfangreichen Index für Inklusion als Instrument der Schulentwicklung gibt es vom Lisum zwei sehr empfehlenswerte Quick-Guides für Inklusion, die eher als Handreichungen für den einzelnen Lehrer/-in gedacht sind und als solche Anregungen geben, wie die eigenen SchülerInnen konkret im Sinne der Inklusion betreut werden könnten.




Samstag, 8. Oktober 2016

Der Raum ist die Lösung!

Panopticon
Wenn man Inklusion in Schule konsequent zu Ende denkt, dann ist sie nur möglich, wenn man die Schule als Raum radikal hinterfragt. Das fängt bei der Barrierefreiheit an und hört bei der Sitzordnung noch lange nicht auf. 
Den Raum als 3. Pädagogen gilt es zu entdecken. In seinen vielfältigen Möglichkeiten, seinen Chancen, seiner geheimnisvollen Kraft, Dinge so oder ganz anders zu leiten. 

Laut Günther Anders ist Raum eine Grundform der Behinderung. Michel Foucault setzt den gesellschaftlichen Raum mit einem lebenden Tableau gleich, er ist ihm zufolge sowohl Machttechnik als auch Wissensverfahren. Doch was geht uns das an?
Es bedeutet für uns Pädagogen Entscheidendes, nämlich, dass Raum so viel mehr ist, als ein bloßer Behälter von Stühlen, Tischen, Schränken, Tafeln, Kleiderhaken usw. 
Aus der Geografie kenne ich vier Konzepte Raum zu begreifen. Jedes dieser Konzept kann meines Erachtens auch auf Schulräume angewandt werden. Dabei werden seitens der Räume an uns PädagogenInnen stets völlig neue Fragen herangetragen. Das macht das Denken in diesen Konzepten so interessant.

1. Der Raum als Behälter
Beim Raum als Behälter geht man davon auf, dass der Raum unabhängig von den materiellen Körpern besteht. Er dient quasi als Plattform für Gegenstände und Prozesse. Als PädagogInnen ließen sich folgende Fragen exemplarisch ableiten:
  • Welche Prozesse finde ich pädagogisch wünschenswert (Gruppenarbeit, Präsentationen)?
  • Welche Gegenstände benötige ich, um die gewünschten Prozesse zu fördern (verschiebbare Tische, Smartboards)?

2. Der Raum als Relation (Distanz-Relations-Modell)
Dieses Konzept begreift Raum nicht mehr als etwas Absolutes. Raum ist vielmehr ein System von Lagebeziehungen materieller Objekte, welches gesellschaftliche Wirklichkeit schafft. Fragen ließe sich beispielsweise:
  • Wie sollen die Interaktionen in diesem Raum aussehen (Welche Rolle des Lehrers ist wünschenswert - klassischer Lehrer oder eher Lernbegleiter)?
  • Wie muss ich die Gegenstände zueinander anordnen (Ordnung der Dinge), um die gewünschten Interaktionen zu ermöglichen (klassischer Lehrer = Lehrertisch zentral, vor der gesamten Klasse oder Lernbegleiter = Lehrertisch an der Seite verschwindend)?

3. Der Raum als Ergebnis von Wahrnehmung
Dieses Konzept denkt den Raum nicht mehr physikalisch, sondern subjektzentriert. Es gibt nicht mehr den Raum, die Wirklichkeit, sondern Räume sind wahrnehmungsabhängig. Unsere Wahrnehmung aber, ist an unsere Erwartungen (auch Wissen und Vorerfahrungen) geknüpft und andersherum. Das bedeutet auch, dass die menschliche Handlung je nachdem ausfällt, ob den Erwartungen an den Raum ent- oder widersprochen wird. Folgende beispielhaften Fragen wären in diesem Kontext sinnvoll:
  • Welche Erwartungen haben die SchülerInnen an den Raum, um ihre Ziele verfolgen und ihren Bedürfnissen gerecht werden zu können (Angstfreies Klima, sehr individuelle Ziele und Bedürfnisse)?
  • Wie kann ich die SchülerInnen in die Raumgestaltung einbeziehen (Partizipation), damit ihre individuelle Raumwahrnehmung ihre Lernprozesse positiv beeinflusst (individuell gestaltete Rückzugsmöglichkeiten)?
Die Notwendigkeit der Einbeziehung der SchülerInnen wird deutlich, wenn man als LehrerIn einmal den Versuch starten möchte, eine Antwort darauf zu finden, welche Erwartungen an einen Klassenraum ein Schüler mit Autismus, eine Schülerin aus gewalttätigem Elternhaus oder ein gehbehindertes Kind hat. Können wir diese Frage besser beantworten als die betreffenden Kinder selbst?

4. Raum als Element der Kommunikation und Handlung
Dieses Konzept geht davon aus, dass Räume erst durch soziales Handeln von Subjekten entstehen.   Diese beziehen mit ihrem alltäglichen Handeln die Welt einerseits auf sich, andererseits gestalten sie diese mit ihren Handlungen auch materiell und symbolisch.
Eine diesbezügliche Denkaufgabe könnte helfen, dass Konzept zu verstehen: Welche Angsträume in Schule gibt es für ein Mobbingopfer? Die schlecht einzusehende Ecke im Hof, der Schulweg, der Klassenraum, die Umkleidekabine der Sporthalle. Diese "Räume" konstituieren sich als Räume für das Opfer nicht als Behälter, nicht durch Lagerelationen und auch nicht vordergründig (wenngleich nicht zu wenig) durch die eigenen Wahrnehmung, sondern zu aller erst durch die verschiedenen, soziale Interaktionen zwischen Tätern und Opfer. Fragen könnten demzufolge exemplarisch wie folgt lauten:
  • Welches soziale Klima soll an unserer Schule herrschen?
  • Was ist zu unternehmen, damit die SchülerInnen die gewünschten sozialen Handlungen erlernen (soziales Lernen)?
Die Frage an den Raum ist letztlich zu einer Frage an die Handlung geworden. Das ist spannend!


Heinrich-von-Stephan-Schule

Lernen von den Besten

Gestern hatte ich das Glück an der Heinrich-von-Stephan-Schule hospitieren zu dürfen. Wer wissen möchte, was man aus einer ehemaligen Durchschnittsschule ohne Zauberei, dafür aber mit Engagement, Beharrlichkeit, konzeptioneller Arbeit, Kreativität sowie dem Willen zur Veränderung im Sinne der SchülerInnen alles machen kann, der gehe hin und staune. 
Klassenräume ohne ein Vorne oder ein Hinten, ohne Lehrertisch und ohne Zentrum. 90 Minuten Unterricht mit ständig wechselnden Sozialverbänden (Gruppen-, Einzel-, Plenums-, Partnerarbeit) und Fächer, die sich auflösen, um in Projekten zu verschmelzen. Darüber hinaus SchülerInnen, die in Eigenverantwortung ihr Lernen übernehmen. Und vieles, vieles mehr.

Nach der Hospitation - mich inspiriert und glücklich fühlend vor lauter Anregungen - fiel es mir wie Schuppen von den Augen:  ES IST ALLES SCHON DA! 
Das war meine Erkenntnis des Tages. Es ist alles schon da! Und auch wenn wir LehrerInnen dazu neigen, das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen, es bleibt dabei: Es ist alles schon da! 

www.blickueberdenzaun.de
Wir sollten demnach alle ausschwärmen. Mit Zettel, Stift und offenen Augen. Wir sollten Netzwerke spinnen und Formeln des Erfolges teilen. Es gilt, den Blick über den Zaun zu riskieren. Es gilt sich gegenseitig zu besuchen, offen, neugierig, voll Zuversicht.
Wer dies möchte, der kann sich natürlich zu aller erst mit den KollegInnen der Heinrich-von-Stephan-Schule in Verbindung setzen. Es gibt aber auch die Möglichkeit einem bereits bestehenden Netzwerk reformpädagogischer Schulen beizutreten, welches u.a. gegenseitiges Hospitieren deutschlandweit organisiert. Es handelt sich hierbei um den Verbund: "Blick über den Zaun". Denn, wie gesagt, es ist alles schon da. ;)



Dienstag, 4. Oktober 2016

Erklärvideo Exklusion

Das nachfolgende Video ist vielleicht ein bisschen weit gefasst, pendelt vielleicht nicht nah genug um den Bereich der Bildung, dem sich dieser Blog vordergründig widmen möchte. Dennoch, man schaue es sich bloß einmal mit den Gedanken bei all den Kevins, Jasons, Cindys oder Alis, Mohameds und Fatmas an. Exklusion. Vielleicht auch ein Problem in Schule? 



Erklärvideo Inklusion

In diesem Video wird u.a. noch einmal der Unterschied zwischen Integration und Inklusion verdeutlicht.



Sonntag, 2. Oktober 2016

Verhaltensauffällige Schüler - und nun?

Jede Schule kennt sie. Die SchülerInnen, die einen ratlos machen, für die die Schule schlichtweg nicht gemacht zu sein scheint. Die sich entziehen wo sie nur können, die nach völlig eigenen Regeln durch das Schulgebäude wabern, diffus, manchmal gewalttätig und laut. Die oftmals in ihrem Kiez schon eine Nummer sind, polizeilich erfasst. Diese SchülerInnen hinterlassen meist bei allen Beteiligten ein großes Aufatmen, wenn sie vollends schuldistanziert geworden sind bzw. dauerhaft suspendiert wurden. 
Doch wem ist damit wirklich geholfen? Die Schule muss sich eingestehen, kein Konzept, keine Mittel gefunden zu haben, um diese SchülerInnen sinnvoll einzubinden, zu in-kludieren. Und die SchülerInnen selbst, welchem Werdegang steuern sie außerhalb der Schule zu?

Projekt Übergang: Die fünf Lernzugänge 
Frau Prof. Dr. Ulrike Becker hat diesbezüglich ein Konzept entwickelt, welches sie wissenschaftlich begleitet und unserer Weiterbildungsgruppe vorstellte. Ihre Einführungsworte fand ich bemerkenswert. Sie lauteten ungefähr wie folgt: 
Inklusion, als Anerkennung und Akzeptanz aller SchülerInnen, muss sich auch bzw. gerade in Konfliktsituationen zeigen. 
Der Begriff zeigt damit starke Parallelen zum Begriff der Toleranz. Und mit der ist es ja bekanntlich auch immer dann weit her, wenn die Meinungsverschiedenheiten am größten sind.

Das Konzept von Frau Prof. Dr. Ulrike Becker firmiert unter dem Namen "Projekt Übergang"
Da es sich im Wesentlichen hier nachlesen lässt, möchte ich nachfolgend nur ergänzende Punkte zum Vortrag dokumentieren.

A) Zum "Projekt Übergang"
  • das Konzept ist nur bis zur 8. Klasse sinnvoll, da danach der Einfluss der Eltern und der Jugendhilfe auf Jugendliche schwindet; ab 9. Klasse eher Duales Lernen förderlich, um SchülerInnen einzubinden
  • Lehrer, die die "Übergangsklassen" betreuen sollten dafür mit 14-16 Ermäßigungsstunden eingeplant werden (zusammen mit Schulleitung und -aufsicht zu klären)
  • die temporären Lerngruppen sollten nach Möglichkeit 3./4. Stunde liegen (LehrerInnen in 1./2. Stunde dann nachsichtiger, da bald Entlastung)
  • in den Übergangsklassen darf jedes Kind 1xWoche einen Gastschüler mitbringen (soziale Integration; belebende Impulse; versus Stigmatisierung)
  • Arbeit am eigenen Thema (in den "Übergangsklassen") sollte nach Möglichkeit später im Klassenverband präsentiert werden (Wertschätzung); Werkbänke für eigene Arbeiten vorteilhaft; keine Ausflüge etc., da Übergangsklassen keine Highlight-Feierstunden sein sollen
  • Schülerbüros dürfen von SchülerIn selbst gestaltet werden, zudem dient es als Rückzugs- und Konzentrationsort; deshalb sollte auch SchülerIn bestimmen dürfen, wer wann eintreten darf
  • Lehrerberatung 1xWoche, Austausch aller Pädagogen mit LehrerInnen der "Übergangsklasse"
  • regelmäßige Elternberatung ist wirksamstes aller Instrumente (notfalls Hausbesuche; Schweigepflicht verdeutlichen wo nötig)
  • regelmäßiger, kooperativer Austausch zwischen Jugendamt und Schule soll Wirbelsturmeffekt nach Zieberth verhindern (Spannungen zwischen den Unterstützern wendet den Blick vom Kind ab, dass im Auge des Orkans steht) 
  • Ganztagsbetreuung erstrebenswert inklusive Essensversorgung, da derart schulinduzierte Spannungen zu Hause minimiert werden
  • vorhergehende Einrichtungen mit einbeziehen und in Schulhilfekonferenz vorher alle auf "Projekt Übergang" einschwören

B) (Be)Deutung der störenden Verhaltensweisen
  • Verhaltensstörungen dienen der Reduktion von Ängsten, stehen im Dienste der Abwehr und sind Antworten auf soziale Lebenslage des Schülers/ der Schülerin. 
  • Ängste lassen sich bei allen Beteiligten (Eltern, Kind, PädagogInnen) reduzieren durch feste Strukturen und haltgebende Beziehungen (siehe Projekt Übergang)
  • Was LehrerInnen seitens der beschriebenen SchülerInnen als Provokationen erleben, sind also Verhaltensweisen, die diese SchülerInnen von zu Hause in die Schule tragen. Warum? Weil diese Verhaltensweisen zu Hause erfolgversprechend sind. 
  • Oftmals erreichen die SchülerInnen mit ihrem Verhalten, dass die LehrerInnen ähnlich wie die Eltern zu Hause schwingen. Die LehrerInnen werden aggressiv. Häusliche Konflikte werden in die Schule projiziert.
In Bezug auf die letzten beiden Punkten verwies Frau Prof. Dr. Ulrike Becker auf einen Herrn Ziebarth. Ich selbst habe ihn bereits aus einer schulinternen Fortbildung kennengelernt und kann ihn nur weiterempfehlen. Steckenpferd von Herrn Ziebarth ist es, diese Projektionsprozesse durch Systemaufstellungen aufzuzeigen, erfahr- und verstehbar zu machen, um von hier aus Lösungsansätze entwickeln zu können. 


C) Weitere Hilfsstellen und Handreichungen

Abschließend der Hinweis, dass man es vielleicht auch versuchen könnte, sich direkt an Prof. Dr. Ulrike Becker bzw. ihre Schule zu wenden.
Zudem noch zwei Links zu weiteren themennahen Artikeln von Prof. Dr. Ulrike Becker:

Samstag, 1. Oktober 2016

Lernnetzwerke statt traditioneller Lehrerfortbildung

Wer ist eigentlich der Leiter unserer Weiterbildung und wofür steht er?
Diese Frage habe ich mir heute gestellt und ein wenig gegoogelt. Gelandet bin ich bei einem Artikel aus dem Tagesspiegel, in dem mir Herr Prof. Dr. Ramseger einen interessanten Impuls liefert über Lehrerbildung neu nachzudenken.

In dem Artikel heißt es u.a.:
"Was würde eine Zwangsberieselung schon helfen? Wir wissen seit langem, dass die traditionellen Formen der Lehrerfortbildung relativ wirkungslos sind. Die Teilnehmer erinnern sich bald kaum noch an das, was sie an einem einzelnen Wochenendseminar mal gehört haben, und landen schnell wieder im Alltagstrott. Erfolgversprechender sind Programme, die die Lehrer selbst für ihre Zwecke mitentwickeln, wie die Robert-Bosch-, die Telekom- und andere Stiftungen sie fördern. Die Lehrerinnen und Lehrer arbeiten dort in Gruppen über einen längeren Zeitraum an ihrem Projekt zusammen und bilden Lernnetzwerke mit ihren Nachbarschulen. So werden Schulen zu lernenden Systemen. Anstatt Zwangsfortbildungen zu organisieren, sollte man den Schulen lieber einen eigenen Fortbildungsetat geben, um etwas in Bewegung zu setzen, – und die Pflicht, ihn für Veränderungen an der Schule auszugeben."


Anbei die angesprochenen sowie weitere Stiftungen zum Anklicken.

Robert-Bosch-Stiftung



Telekom-Stiftung

















Bertelsmann-Stiftung



Vergangenheit und Zukunft?

Vergangenheit.

Zukunft?


Eine mögliche Vision.


Gegen die 10-G-Pädagogik!


Personalisiertes Lernen

Diese Woche wurde uns auf methodisch interessante Weise ein Buch nahegelegt, welches sehr verheißungsvoll zu sein scheint, wenn es um die Frage des personalisierten Lernens geht. 
Erste Einblicke in das Buch erhält man, wenn man auf das nachfolgende Bild klickt.

HEP-Verlag

In der Buchbeschreibung heißt es: 
"Dieses Buch ist deshalb ein Buch zum Nachdenken: Denn wer als Lehrerin oder Lehrer über seine Arbeit nachdenkt, muss über Aufgaben nachdenken. Wer über Aufgaben nachdenkt, muss über Lernen nachdenken. Und wer über Lernen nachdenkt, muss über Schule nachdenken. Es ist aber auch ein Buch zum Handeln: Denn erstens kommt es anders und zweitens wenn man (nach)denkt. Auf der Ebene des alltagspraktischen Handelns wird die Frage aufgenommen, was Lernaufgaben zu »guten« Aufgaben macht. Damit verbunden ist eine komplett andere und in vielen Teilen auch neue Sicht auf »Aufgaben« als Werkzeuge zur Aktivierung von Lernprozessen. Wirkungsstarke Lernaufgaben werden in prototypischen Formaten und Beispielen vorgestellt. Doch jedes Lernverhalten ist abhängig vom Kontext, in dem es stattfindet. Deshalb gilt auch für Lernaufgaben: Wie man sie einbettet, so liegen sie einem."

Die Macher des Buches sind übrigens eng verknüpft mit dem Beatenberg-Institut in der Schweiz. Ein Blick auf die entsprechende Homepage verspricht weitere Denkimpulse: www.institut-beatenberg.ch.


Mehr Diagnostik, nein danke!

Augenmerkkind. Das war ein Schwerpunkt der vorletzten Sitzung. 
Hierbei schlich sich folgender Gedanke bei mir ein: Was, wenn nicht nur wir Lehrer Augenmerkkinder haben, sondern auch die Gesellschaft Augenmerkkinder hat? Mit Wocken gesprochen könnte man sagen, dass die „Risikokinder“ in den Fokus der Gesellschaft gerückt sind. Was bedeutet das konkret?

Wocken stellt in seiner Untersuchung fest, dass – trotz steigender Inklusionsquote – keine echte Inklusion stattfindet.
Zwar steigt die Anzahl der SchülerInnen mit Förderbedarf an den Regelschulen (steigende Inklusionsquote), demgegenüber ist die Zahl der SchülerInnen an den Sonderschule aber weitestgehend konstant geblieben (gleichbleibende Seperationsquote). Das bedeutet, dass der relative Anteil der SchülerInnen mit Förderbedarf an der Gesamtheit aller SchülerInnen gestiegen ist. Rückschluss: RisikoschülerInnen werden mit Etikettierungen überschwemmt. Inklusion, verstanden als Würdigung des Indivuduums/ des Individuellens ist es demnach nicht – eher das Gegenteil.
In meiner letzten Hausaufgabe habe ich der Pädagogik, die sich die Inklusion auf die Fahnen schreibt, folgende selbstvergewissernde Frage in den Mund gelegt: „Das eine Pädagogik, die auf Inklusion – also der individuellen Differenz als Chance – setzt, sich vielleicht auch die Frage stellen sollte, in welche Richtung sie tendiert: Ein Mehr an Diagnostik oder ein Mehr an Individualität?“ Es scheint, als liefe es auf ein Mehr an Diagnostik hinaus. Der diagnostische Blick aber ist kalt, zielt auf Verallgemeinerung, auf Ausrichtung an der Norm, auf ein Handhabbarwerden des Diagnostizierten hin. Es fiel diesbezüglich der Begriff der positiven Diskriminierung. Diese ist und bleibt was sie ist: Diskriminierung. Als solche ist sie in Bezug auf das diskriminierte Individuum beschneidend, einengend, verkürzend, gewalt-ig. 
Hans Wocken verweist auf die absurde Vorstellung, dass durch Inklusion die Normalitätstoleranz verengt werden könnte. Meines Erachtens würde dies nichts anderes widerspiegeln  als die gesteigerte Angst unserer Gesellschaft vor dem Individuellen, vor der Andersartigkeit. 

Flüchtlingskrise, Terrorangst, Islamophobie, Etikettierungsschwemme von Risikoschülern – vielleicht bilden sie ein und dieselbe Linie? Vielleicht ist es kein Zufall, dass unsere Gesellschaft Schüler des Risikos genau jetzt in Augenmerk nimmt.


Zeit für einen Perspektivwechsel!

Liebes Lerntagebuch,

die heutige Aufgabe fand ich unverhofft großartig! Ich habe das Gefühl, dass ich durch sie mein erstes Inklusions-Instrument an die Hand bekommen habe, also ein Instrument, dass es mir ermöglicht, Inklusion erfolgreich an meiner Schule durchführen zu können. Das Instrument erscheint mir so einfach wie effizient. Es hat so gar nichts mit großer Zauberei zu tun, was ich sehr ermutigend finde. Eigentlich ist es sogar absolut naheliegend, drängt sich förmlich auf. Dass ich es als Pädagoge bisher so selten (bewusst) eingesetzt habe, beschämt mich fast ein bisschen. Das Instrument war in ihrer Aufgabe impliziert und heißt: Perspektivwechsel.

Kippbild von Octavio Ocampo
Wie wunderbar erhellend es sich anfühlte, sich mit Muße, Zeit und in vollem Bewusstsein, die Welt durch die Augen einer Augenmerk-Schülerin vorzustellen (so lautete im Groben die Aufgabe). Dabei ein Gefühl dafür zu bekommen, was diese Schülerin sucht und braucht und – auch im Umkehrschluss – was sie verlöre, wenn sich die Situation anders gestalten täte. 
Die Konfliktsituation meines Augenmerkkindes hat etwas mit seiner Behinderung zu tun. Monica (Name geändert) ist gehbehindert und wir hatten zusammen Sportunterricht. Bei einem von mir initiierten Fangespiel spielte sie mit anfänglich großer Bereitschaft mit, wirkte aber zunehmend verlorener, wurde sie von Ihren MitschülerInnen doch absolut nicht ernsthaft berücksichtigt. Ein einziges Mal wurde sie angeschlagen. Es fühlte sich irgendwie mitleidig motiviert an. Genauso mitleidig motiviert erbarmte sich ein Mitschüler und ließ sich von Monica als Fängerin abschlagen. Ich brach das Spiel ab und führte eine Regeländerung ein: Am Hallenende wurde eine Ecke per Bank abgetrennt und von dort aus sollte Monica die anderen SchülerInnen abwerfen dürfen. Den geworfenen Ball sollte sie immer wieder zurückgebracht bekommen und zwar von einer Schülerin, die bis dahin ebenfalls völlig unbeteiligt im Spielfeld verweilte, Hannah (Name geändert), eine Schülerin mit geistiger Behinderung. 
Es funktionierte wunderbar! Und es fühlte sich so toll an Monica und Hannah zu beobachten. Beide waren aktiv, mittendrin und insbesondere Monica entwickelte riesigen Ehrgeiz. Jedes Mal, wenn sie jemanden abwarf – was ihr schwer fiel – freute sie sich ungemein. Und die anderen SchülerInnen, für sie war Monica eine richtig ernst zu nehmende Gefahr geworden. Das Spiel hatte sich in seiner Attraktivität sogar gesteigert. Plötzlich musste man sich vor den Fängern in Acht nehmen und vor Monica. 
Natürlich sehe ich jetzt – mit etwas Abstand – weitere Verbesserungsmöglichkeiten. Man könnte Regeländerung zusammen mit den SchülerInnen entwickeln und auch Hannah hätte Bälle werfen können. Dennoch, wenn ich die Perspektive von Monica einnehme, kommen mir lauter Worte in den Sinn, die einfach wunderbar sind. Ich glaube Monica hat sich anerkannt, gesehen, respektiert, integriert, unterstützt, angenommen, bestätigt, bestärkt, normal, stark, im Einklang mit dem Stundengeschehen, motiviert und glücklich gefühlt. 

Letzte Sportstunde habe ich leider nicht reagiert und Monica ihrerseits reagierte unglaublich traurig und wütend. Fühlte sie sich nicht anerkannt, nicht gesehen, nicht respektiert, nicht integriert, nicht unterstützt, nicht angenommen, nicht bestätigt, nicht bestärkt, unnormal, schwach, als Fremdkörper im Stundengeschehen? Sehr wahrscheinlich JA. Für mich ein riesen Impuls, diese Schülerin in meiner Unterrichtsplanung weiterhin im Augenmerk zu behalten. Danke, Perspektivwechsel!


Und die Flüchtlingskinder?

Irakische Flüchtlingskinder - UNICEF
Ein Kollege aus meiner Schule ist maßgeblich in den Willkommensklassen unserer Schule eingesetzt. Das sind die Klassen mit den Flüchtlingskindern. Er suchte das Gespräch und erzählte mir von all den Schwierigkeiten, die ihn belasten.
Willkommensklassen setzen LehrerInnen vor große Herausforderungen - sprachlich (viele der Jugendlichen sprechen kaum Deutsch, manche zusätzlich kein Englisch), auf der Beziehungsebene (es herrscht zum Teil hohe Fluktuation in den Willkommensklassen), sozial (manche Flüchtlingskinder sind ohne ihre Eltern in Berlin angekommen), psychologisch (Stichwort: traumatisierte Kinder).
Erschreckend aber war, dass der Kollege sich als ohnmächtiger Einzelkämpfer erkennen musste. Noch erschreckender, dass ich mich für die Flüchtlingskinder an unserer Schule überhaupt nicht als mit zuständig verstand. Ich bin Klassenlehrer einer (Regel-)Klasse. Damit hatte sich es für mich
Ich glaube wie ich fühlen viele an unserer Schule. Ich nehme das an, weil die Flüchtlingskinder auf sonderbare Art und Weise an unserer Schule ex-kludiert wirken. Keine Einbindung in die AG´s. Ungenügende Berücksichtigung auf Sportfesten und -turnieren. "Inselunterricht" mit den ihnen zugeteilten LehrerInnen. Kaum bis keine Vertretung durch alle anderen LehrerInnen
Warum ist das so? 
Vielleicht, weil Schule manchmal auch eine Überlastungs- und Überforderungsmaschine für alle Beteiligten ist. Vielleicht aber auch, weil wir es bisher als Kollegium versäumt haben, uns darauf zu verständigt wie wir diese Kinder in-kludieren sollten. Denn, ob wir sie inkludieren wollen, diese Frage dürfte sich eigentlich nicht stellen.