Donnerstag, 6. April 2017

Gute Schule.

"Was ist eine gute Schule? Was ist guter Unterricht? Wie entsteht ein gutes Schulklima? Was zeichnet eine gute Schulleitung aus?
In dem 2009 erstmals veröffentlichten Karteikasten „Gute Schule“ geben Berliner Lehrkräfte und andere Fachleute aus dem Bildungsbereich Antworten auf diese und ähnliche Fragen.
Die Karteikarten enthalten knapp und überschaubar grundlegende Informationen und praktische Hinweise zu den Themenbereichen Lehr- und Lernprozesse, Schulkultur und Schulmanagement.
Mit der zweiten überarbeiteten Ausgabe liegt ein Ratgeber aus der Praxis für die Praxis vor, der neue Themenbereiche wie die Lernausgangslage, Rechenstörungen, Demokratieerziehung und Cyber-Mobbing umfasst."

So heißt es auf der Senatsseite. Und tatsächlich, der Karteikasten macht interessante Angebote sowohl hinsichtlich der eigenen Unterrichtsgestaltung als auch der Schulentwicklung. Lesenswert!

Download hier.


Quelle:    https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/gute-schule/, 06.04.2017, 15:24Uhr. 

Donnerstag, 23. März 2017

Rütli Campus I

Lernen von den Besten

Am 03.03.2017 war ich im Rütli-Campus hospitieren, Doppelstunde Deutsch, 10. Klasse. 
15 SchülerInnen, zwei LehrerInnen, eine Lesepatin. Ressourcentechnisch ein absoluter Traum! Und so war auch die Stunde! Ist das nicht logisch? Wenige SchülerInnen + viele PädagogInnen = guter Unterricht? Diese Formel ist so verlockend, auch bzw. gerade in ihrer Umkehrung (Viele SchülerInnen + wenig PädagogInnen = schlechter Unterricht) und könnte so ganz als Erklärung für Gesehenes herhalten. Doch wie Unrecht würde man dem LehrerInnenteam tun, wie wenig deren grandiose Leistung sehen! Die viel interessantere Antwort ist demnach: was diese KollegInnen aus dem ihnen zur Verfügung Stehenden gemacht haben (stark heterogene Schülerschaft, kleiner, technisch schlecht ausgestatteter Raum, nahendes Wochenende, viele SchülerInnen mit Migrationshintergrund und damit einhergehend wahrscheinlicher Sprachverständnisschwierigkeit), das war tief beeindruckend und meines Erachtens nah am Maximum dessen, was in diesem Schnittpunkt von Zeit und Raum möglich gewesen ist. Woran lag es?

1. Fachkompetenz sowie methodisch-didaktische Kompetenz
Die gezeigte Doppelstunde war meines Erachtens eine v.a. überaus intelligent gemachte Stunde. Sie war schlüssig/ in sich stimmig, zielfokussiert, mehrschichtig, pointiert, motivierend und transparent. Sie war nicht beliebig, nicht belanglos, nicht über- und nicht unterfordernd. Sie hatte Biss, ohne zu hohen Druck zu erzeugen und sie bot Entspannung, ohne den Biss zu verlieren. Es war Unterricht in seiner originärsten Bestimmung. Was wurde konkret geboten?
  • Schülernahes und aktuelles Thema. Dieser Punkt klingt so banal. Ist das nicht selbstverständlich? Doch wie oft sieht die Realität in Schule ganz anders aus? Hier jedoch wurden zum Anfang der Stunde zwei FakeNews (Stundenthema mit hoher Aktualität) an die Wand projiziert: „Angela Merkel - Haschanbau im Kanzleramt“ im Layout einer Facebookseite (beides adressatengerecht) sowie „Flüchtlingen rauben jedem dritten Deutschen die Kinder“ im Stiele einer BILDzeitungsseite (beides ebenfalls adressatengerecht). Das war der Stundeneinstieg und die SchülerInnen nahmen ihn dankbar an, waren gleich bei der Sache. Diese Motivation hielt sich bis zum Stundenende und wurde durch folgenden Punkt noch verstärkt. 
  • Hohe Relevanz. Wer sich beim Thema noch nicht abgeholt sah, der bekam vom LehrerInnenteam ein weiteres Angebot unterbreitet. Denn das, was in der Stunde geübt werden sollte, die Kompetenz, der man sich zuwenden wollte, war in hohem Maße MSA-relevant. Diese Relevanz wurde nachhaltig kommuniziert, d.h. frühzeitig festgestellt und während der Stunde wiederholt betont.
  • Fächerübergreifender Ansatz. Was den SchülerInnen trotz gebotener Transparenz glaube ich nicht bewusst wurde, ist der Umstand, dass die Doppelstunde Deutsch sehr fächerübergreifend orientiert aufgebaut war. Folgende Themen wurden in der Gruppenarbeits-/Hauptphase bearbeitet: „Wo unser Rohöl herkommt?“ (Erdkunde), „Haltungsformen von Hühnern“ (Ethik, Biologie), „Buch und e-Book“ (Deutsch, Ethik, Wirtschaft), „Wasserverbrauch und virtuelles Wasser?“ (Erdkunde, Ethik), „Die Deutschen und ihr Eis“ (Deutsch), „Essbare Stadt“ (Erdkunde, Biologie, Ethik, Wirtschaft). Deutlich hieran wird, dass den SchülerInnen während der Stunde mehrere Möglichkeiten geboten wurden, sich in ihren Interessen wiederzufinden. Ihnen wurde regelrecht ein Blumenstrauß der Möglichkeiten zu Füßen gelegt. Wussten die SchülerInnen dies zu schätzen? Ja! Mit reger Mitarbeit zahlten sie den geleisteten Input zurück.
  • Schnelle Aktivierung, hohe Impulsrate. 12 Minuten nach Stundenbeginn war jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin über ihren ersten schriftlichen Arbeitsauftrag gebeugt, der Kopf rauchte. Ein Zurücklehnen, ein andere für mich arbeiten und mitdenken lassen, epische Lehrervorträge und/oder Ping-Pong-Dialoge zwischen wenigen, das alles gab es hier nicht. Stattdessen wurden meist alle SchülerInnen schriftlich oder mündlich aufgefordert, angesprochen, durch Impulse unter einer gewissen produktiven Spannung gehalten. Es galt dabei zu bleiben, mit- und weiterzudenken, nachzuhaken. Und zwar 90 Minuten lang. D.h. nicht, dass es nicht auch Entspannungsmomente gab, die gab es. Sie wurden allein schon durch die wechselnden Sozialformen angebahnt. Aber, selbst diese Entspannungmomente waren zielgeleitet. Dahinter verbirgt sich meines Erachtens eine Grundhaltung der LehrerInnen, nämlich ein sehr hoher eigener Arbeitsethos sowie eine einhergehend hohe Anspruchshaltung. Ich persönlich finde beides extrem positiv. LehrerInnen haben nicht zuletzt auch hier Vorbildcharakter, oder nicht? Sagen wir es so, wenn sie zugleich die Möglichkeit auf individuellen Erfolg gewährleisten, dann ja.
  • Möglichkeit auf persönlichen Erfolg. Je höher die allgemein gültigen Maßstäbe, desto höher die Wahrscheinlichkeit des persönlichen Scheiterns. Was aber, wenn ich den für alle geltenden Maßstab individuell maximiere? Oder anders ausgedrückt, wenn ich den Maßstab individuell maximiere und ihn damit überhaupt erst für alle sinnvoll geltend werden lasse? Dann kommt exakt das heraus, was bei Frau S. an der Paula-Fürst-Schule in goldenen Lettern eingerahmt im Klassenraum hängt: „Jeder gibt sein(!) Bestes!“ Diese Prämisse als Maßstab gedacht ergibt eine für Unterrichtsplanung hoch interessante Frage: Wenn jemand in meinem Unterricht sein Bestes gibt, gewährleiste ich ihm dann auch den maximalen Erfolg? Wie oft wird diese Frage in Schule wohl mit NEIN beantwortet? Und wie oft ist dieses Nein in Schule strukturell verankert? Dem Schüler Misserfolg bereiten als Strukturmerkmale herkömmlicher Schule? Schule als Misserfolgserlebnisanstalt? Allein beim Schreiben dieser Zeilen lässt es einem das Herz zusammenziehen. Wir müssen uns neu ausrichten. Dann kann Unterricht den maximalsten aller Ansprüche stellen und dennoch bzw. gerade deshalb größtmöglichen Erfolg gewährleisten. Womit wir zurück beim Rütli-Campus wären und dieser einen speziellen Doppelstunde. Höchstmöglicher Anspruch seitens des LehrerInnenteams an sich und alle(!) SchülerInnen, gekoppelt mit der Aussicht auf Erfolg. Hier ging beides - gestützt durch differenziertes Material, individuelle Hilfestellungen, persönliche Wertschätzung, individuelles Lob, maßgeschneidertes Feedback, bewusst heterogen geplante Gruppenzusammenstellung sowie offenen Fragestellungen - Hand in Hand.
  • Spiel mit der Sprache. Sprache kann Nähe und Distanz schaffen, ein Wir oder ein Ihr betonen, Ansprüche andeuten, aber auch Relativitäten betonen, sie kann Lachen und Grübeln gleichermaßen forcieren. Dieses Wechselspiel des Sprach-Möglichen wurde von den LehrerInnen des Rütli-Campus´ meines Erachtens absolut beherrscht. Sie boten durch ihre unterschiedlich gewählte Ansprachen (humorvoll, streng, wertschätzend, privat, formell, metaphorisch, klar, …) den SchülerInnen die Möglichkeit, sie als etwas zu sehen, das über die klassische Lehrerrolle weit hinausging: als Menschen, als Individuen, als Wohlgesonnene, als kritische Partner, als Unterstützer, als Wegbereiter, als Bedürftige, als im selben Boot Sitzende. Nähe und Distanz bildeten hier ein wohltemperiertes und gewinnbringendes Gleichgewicht. Für dieses LehrerInnenteam hätte ich auch mein Bestes gegeben!
  • Kompetenzorientierte Stundendramaturgie. Am Stundenende wurden die SchülerInnen aufgefordert, erneut die Folien des Stundenanfangs, allerdings mit dem in der Stunde Erlernten, zu überprüfen. Hiernach sollten sie die Metaebene betreten, um Erkenntnissätze betreffs des Stundeninhalts zu formulieren (5 Tipps zum Verstehen von Grafiken). Der Stundeneinstieg war demnach kein Zufall. Er erschöpfte sich nicht in seiner Wirkung als Initialzündung. Er wirkte vielmehr (wie der Rest der Stunde auch) auf ein einziges Ziel hin, nämlich das während der Stunde exemplarisch Erlernte am Stundenende (MSA-)relevant zu verallgemeinern. Am Ende der Stunde schloß sich also der Kreis. Hier wurde der wahre Mehrwert der Stunde generiert. Die Dramaturgie: Exemplarisch im Detail - Exemplarisch in die Breite - Verallgemeinerung des Exemplarischen. Dieses Vorgehen ist die Grundlage von Kompetenzerwerb.
2. Team-Teaching
Einen weiteren Grundstein des Erfolgs sehe ich in dem recht gelungenen Teamteaching. 
  • Vervielfachung der Ressourcen. Fall A) 15 SchülerInnen, ein(e) Hauptpädagog(in), zwei PädagogInnen mit nur disziplinierender Aufgabe. Wenn alle SchülerInnen gleichzeitig eine Frage hätten, könnte das Team ca. sieben Prozent aller SchülerInnen gleichzeitig beraten und unterstützen. Fall B) 15 SchülerInnen, drei PädagogInnen, alle mit beratender und unterstützender Funktion. Wenn alle SchülerInnen gleichzeitig eine Frage hätten, könnte das Team exakt 20 Prozent aller SchülerInnen gleichzeitig beraten und unterstützen. Fall C) 15 SchülerInnen, drei PädagogInnen, alle mit beratender und unterstützender Funktion. Das Team entscheidet sich für leistungsdifferenzierte Gruppen, die SchülerInnen sind angehalten und gewohnt sich gegenseitig zu helfen, d.h. kooperativ zu arbeiten. Fragen, die jetzt an die PädagogInnen gestellt werden, sind demnach nur nur noch Fragen, die die Gruppe nicht in der Lage ist alleine zu lösen. Es sind Gruppenfragen. Wenn alle Gruppen nun gleichzeitig eine Frage hätten, könnte das Team exakt 60 Prozent aller Gruppen gleichzeitig beraten und unterstützen. 60% aller SchülerInnen wären angesprochen. Hinzu kommt, da die SchülerInnen sich selbst unterstützen, wird das Team fiel seltener von der Lerngruppe beansprucht, d.h. die einzelnen PädagogInnen könnten gezielter diejenigen SchülerInnen beobachten, aufmuntern unterstützen, versorgen und ggf. unterstützen, die das am meisten benötigen. Was für ein Zauber! Von 7 auf 60%! Man muss kein Prophet sein um festzustellen, das Unterrichtsstörungen abnehmen und die allgemeine Zufriedenheit aller zunimmt. 
  • Vorbildcharakter und Blaupause. Wenn sich KollegInnen - wie die drei PädagogInnen vom Rütli-Campus - vor einer Lerngruppe gegenseitig wertschätzen, wenn sie sich zu Wort kommen lassen und ihre unterschiedlichen Beiträge als Bereicherung begreifen, wenn sie sich das Feld überlassen, um sich gegenseitig in ihrer Autorität zu stützen, wenn sie gelöst miteinander lachen und gleichzeitig die Gruppe gemeinsam auf ein Ziel einschwören, wenn sie das tun, welche Verhaltensmuster werden dann ihre SchülerInnen zeigen? Wer so ein Vorbild abgibt, darf der von seinen SchülerInnen womöglich mehr erwarten und wird weniger enttäuscht werden? Ich glaube, ja. 
3. Beziehungsarbeit
Die Beziehungsarbeit des LehrerInnenteams geht über das übliche Maß hinaus. Vielleicht auch das ein Baustein des Erfolgs. Herr L. erzählte uns, dass er die Klasse bereits vier Jahre betreut. Anfangs gab es große Schwierigkeiten. Er und sein Team reagierten und machten neben vielen Klassenkonferenzen noch mehr Hausbesuche. „Ich kenne eigentlich alle Eltern, weiß wie die Schüler zu Hause leben.“ Manchmal wurde auch zusammen ein Tee getrunken, vielleicht dadurch Barrieren und Hürden abgebaut, die andernfalls ein erfolgreiches Miteinander deutlich erschwert hätten. Das ganzheitlichere Verständnis seine SchülerInnen betreffend sowie ein tiefergehendes Vertrauensverhältnis aller Beteiligten erleichterte Hr. L. und seinem Team möglicherweise auch das spätere Anbahnen bzw. gemeinsame Beraten geeigneter Lauf- und Schulbahnentscheidungen (Praxislernen ja/nein?, Statusaberkennung ja/nein, Überprüfungsverfahren ja/nein?, Teilnahme an Schulfahrten ja/nein, usw.). Ebenfalls ist davon auszugehen, dass die SchülerInnen diejenigen LehrerInnen anders betrachten, die von ihren Eltern in deren zu Hause im besten Falle wohlwollend als Gäste aufgenommen wurden, die den Mut aufbringen, ihre eigene Comfortzone zu verlassen, um sich auf eine Kommunikation mit womöglich umgekehrten Vorzeichen einzulassen, die sich letztlich für mehr interessieren als um die bloße Schulleistung des Einzelnen

4. Lehrerpersönlichkeiten
Ich habe bereits über den hohen und spürbaren Arbeitsethos sowie die hohe Anspruchshaltung des LehrerInnenteams gesprochen. Was ebenso spürbar war und meines Erachtens Erwähnung verdient ist die Eigenschaft, sein eigenes Handeln kritisch zu reflektieren, zu hinterfragen und gff. als zukünftige Handlungsoption zu verwerfen. Der Lehrer als Lernender, als sich ständig im Prozess Begreifender, als Fehlbarer, als Innovator, als Reiter ohne hohes Ross. Der Lehrer, der seinen Fehlern Gewinn abringt, der Scheitern als Chance begreift. Hr. L. scheint mir ein derartiger Lehrer zu sein. Er hatte sein Referendariat auf einem Gymnasium in Westdeutschland gemacht. Dann kam er nach Berlin. Rütli war für ihn auch ein Schock. Seine Worte betreffs seiner Anfangszeit am Rütli-Campus: „Ich musste meine Lehrerrolle völlig neu denken. Das habe ich getan.“ 
Die SchülerInnen die da sind, sind die besten SchülerInnen die wir haben. Sie unterstehen unserem verantwortungsvollen Handeln. Wer so denkt, der beschwert sich nicht darüber, was SchülerInnen (angeblich) alles nicht können, sondern schafft die Voraussetzungen dafür, dass eben diese SchülerInnen Erfolg haben werden. Dieses Credo, diese Haltung, macht meines Erachtens einen guten Lehrer aus.

5. Drop-Down-Prozesse und buttom-up-Effekt
Wir hatten bei unserem Besuch am Rütli-Campus 25 Minuten Zeit, um mit einer Vertreterin der Schulleitung ins Gespräch zu kommen. Eine interessante Persönlichkeit mit einem Faible für experimentelles Lernen, wie sie selbst über sich sagt. Erstaunlich fand ich, welch klare Vorstellung sie einem von ihrer Arbeitsweise zu vermitteln verstand, bedenkt man die äußerst begrenzte Gesprächszeit. Welche wesentlichen Punkte betreffs der Arbeitsweise wurden deutlich?
  • Auch die Rütli-Schule ist eine Schule, die sich durch eine Krise gezwungen sah, neu aufzustellen. Ähnlich der Heinrich-von-Stephan-Schule, ähnlich der Paula-Fürst oder der Max-Brauer-Schule aus Hamburg. Durch den Beitritt zur Stiftungsinitiative „Ein Quadratkilometer Bildung“ generierte die Schule für sich frei verfügbare Gelder über einen Zeitraum von zehn Jahren. Was wurde mit dem Geld gemacht? Es wurde v.a. dafür verwendet, um einen kaskadenartigen Drop-down-Prozess der Schulentwicklung ins Leben zu rufen. Zu erst ging die Schulleitung in Wochenendworkshops auf ein Landgut, um von eigenen Stärken und Schwächen ausgehend wünschenswerte Ziele für die Schule zu formulieren, danach begab sich die erweiterte Schulleitung in diesen Prozess, dann die Fachbereiche, dann thematisch orientierte Arbeitsgruppen. Sukzessive von oben nach unten wurde ein Prozess der Selbstverortung, Selbstvergewisserung sowie der Fokussierung in Gang gebracht. Es entstand eine innovative Dynamik, eine Aufbruchsstimmung.
  • Es wird auf lohnende Vernetzung gesetzt, also nicht um jeden Preis. Nur, wenn sich KollegInnen bereit erklären sich für eine Sache einzusetzen, werden Kooperationen verfolgt und versucht zum Erfolg zu bringen.
  • Die Einstellung neuer KollegInnen ist keine einsame Entscheidung der Schulleitung, sondern geschieht im Team. Identifiziert sich der/die neue KollegIn mit der Schulphilosophie, der Art und Weise der Fachbereichsarbeit, will er/sie sich auf gegebenes SchülerInnen-Klientel verantwortungsvoll einlassen, ist er/sie ein Teamplayer? Bevor ein neuer Kollege/in eingestellt wird, muss er/sie hospitieren, um den Alltag zu verstehen und die Herausforderung zu wissen. Durch die gemeinsame Einstellung neuer KollegInnen wird ein Buttom-up-Prozess gesichert, der sich auf den Drop-Down-Prozess bezieht. How smart!
  • Die Vertreterin der Schulleitung lebt eine Angebotskultur. Sie äußert Wünsche und eröffnet begrenzte Zeitfenster. „Ich wünschte mir, dass sie sich ein Jahr lang jede Woche in einer zusätzlichen Stunde in ihrem Jahrgang zusammensetzen, um die Zusammenarbeit zu stärken, gemeinsam planen zu können und bei Problemen nach Lösungen ringen zu können. Geben Sie uns dieses eine Jahr? Gehen Sie mit? Wenn wir/Sie nach einem Jahr feststellen, dass die Maßnahme keinen Gewinn darstellt, dann beenden wir sie.“ Das Kollegium folgte diesem Angebot. Heute hat der Rütli-Campus eine fest verankerte wöchentliche Jahrgangsarbeit in Jahrgangshäusern. Ich persönlich halte diese Teamführung für psychologisch sehr klug, ja, charmant.
Diese Arbeitsweise der Schulleitung sind meines Erachtens auch Bedingung dessen, was ich oben so positiv beschreibe. Womit ich am Ende meines Berichtes angelangt wär. 
Hm, er klingt, als hätte ich paradiesische Zustände vorgefunden. Kritik? Könnte man – wie immer – üben. Ich möchte mich aber auf einen Punkt beschränken, der mich selbst sehr umtreibt. Vielleicht ist er weniger Kritik, denn mehr eine Frage an meine Mentorin.
Hr. L. äußerte, dass die kleine Lerngruppe (15 SchülerInnen) auch daher rühre, dass man einige SchülerInnen per Konsens ins Praxislernen bekommen hat. Diese SchülerInnen sind verwaltungstechnisch noch Campus-Rütli-SchülerInnen, faktisch jedoch anderen Örtlichkeiten zugeordnet. Des Weiteren wurde bei einem Schüler im Gespräch mit allen Beteiligten der Entschluss gefällt, ihn in eine Förderschule zu übergeben, da er dort besser aufgehoben sei. Meine Frage, ab wann bzw. unter welchen Umständen ist Exklusion opportun?



Samstag, 28. Januar 2017

Schülerbeobachtung

Jeder Lehrer und jede Lehrerin kennt sie - SchülerInnen, die einen bis auf´s Blut reizen. Immer und immer wieder. Völlig halt- und ratlos drohen einem dann die eigenen Gesichtszüge zu entgleiten sowie die gebotene Mäßigung abhanden zu kommen. Was tun?
Eine vielversprechende Handlung ist das intensive Beobachten. Was diese Handlung bewirken kann, habe ich in meiner entsprechenden Hausarbeit "Beobachtung eines Augenmerkkindes" reflektiert.

Vorweg zwei gegensätzliche Auszüge aus dem Fazit der Hausarbeit:

  • "Allein wenn ich mir vor Augen führe, wie mein Schüler durch das gezielte Beobachten an Kontur, Schärfe, Stimmig-, Griffig- und Persönlichkeit gewonnen hat! Wie sich mein Verständnis seiner Handlungen von un-sinnig hin zu verstehbar gewandelt hat! Und wenn ich bedenke, wie die Ausgangslage war! So negativ, so ohne Handlungsideen. Ohnmächtig und gereizt. Und jetzt? Das, was ich da in den Händen halte – diese schiere Quantität der Handlungsmöglichkeiten – ist so vielversprechend, so ermutigend, so professionell und befähigend, so lohnend, so schüler- und erfolgsorientiert. Das macht mich insgesamt gesehen sehr zufrieden."

  • "Griffig. Lässt sich Individualität überhaupt greifen? Ist wahre Individualität nicht gerade das, was sich dem Zugriff widersetzt? Im Handeln, gar im Denken? Sichert ein Unterricht nicht gerade dann Individualisierung, wenn er auch Räume des Verborgenen zu-sichert? Wenn er dem Individuum Zufluchtsräume gewährt? Beobachten hingegen heißt v.a. Sichtbarmachen und damit Rationalität und Rationalisierung den Zugang sichern. Sichtbarmachen ist derart die wichtigste Voraussetzung der Normierung. So funktioniert letztlich Scham."

Wer mehr erfahren möchte, der lese HIER.
(Aus Gründen der Anonymisierung ist die Hausarbeit in Teilen geschwärzt. Der Lesbarkeit sowie dem Verständnis tut dies jedoch kein Abbruch.)


Donnerstag, 12. Januar 2017

Paula-Fürst-Schule II

Lernen von den Besten

Am 06.01.2017 hospitierte ich zum zweiten Mal an der Paula-Fürst-Oberschule bei Frau S. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich gerne bei einer anderen Klasse sowie einer anderen Lehrerin hospitiert, da ich glaubte, die Lehrerin in ihrem Stil erfasst zu haben. Ich war gierig nach Neuem, nach substantiell Neuem. Seitens der Seminarleitung wurde meinem Wunsch jedoch nicht entsprochen. So betrat ich die Paula-Fürst-Schule mit einem gewissen Gleichmut.
Doch schon als ich den mir bekannten Raum der JÜL-Klasse betrat, wurde ich überrascht. Ich notierte mir: „Raum wirkt nicht mehr erschlagend, sondern völlig anders. Klarer, offener, übersichtlicher.“ Der Klassenraum drohte zwar immer noch wegen der überbordernden Fülle an Lernmaterial aus allen Nähten zu platzen, aber ich schien mich nach den 90 Minuten meiner letzten Hospitation daran gewöhnt zu haben. Hier konnte ich mir auf einmal sehr gut das vorstellen, was mir im November noch völlig ausgeschlossen schien, nämlich hier sowohl zu unterrichten als auch zu lernen. Einmal mehr blitzte in mir der Gedanke auf, dass Zeit vielleicht die wirksamste aller Stellschrauben im Schulkontext darstellt
Wie auch beim letzten Mal trudelten die SchülerInnen nach und nach ein, wurden von der Lehrerin individuell begrüßt und begannen selbstständig den Tagesablauf in ihr Logbuch zu schreiben. Doch was war das? Wer kam nahm eine walnussgroße Holzkugel und steckte sie auf einen Holzstab. Was für eine wunderbare Idee! Die Lehrerin erhält einen schnellen Überblick darüber, wie viele Kinder (ungefähr) schon da sind und – meines Erachtens noch wichtiger – die Kinder verankern sich regelrecht durch eine haptisch-materiell ansprechende Aktivität, kommen hier ganz an und machen sich für die Lehrerin und ihre MitschülerInnen doppelt sichtbar. Schau(t) her, ich bin schon da! Hier, an unserer, an meiner Schule! Ich habe soeben meine erste Spur hinterlassen.
In der 80minütigen Doppelstunde (die Rhythmisierung an dieser Schule ist bewusst kein klassischer 90-Minuten-Rhythmus) arbeiteten die SchülerInnen an ihren Projektheften. Hierzu muss man wissen, dass die Paula-Fürst-Schule mehrere Projekte und projektorientierte Unterrichtsphasen pro Jahr durchführt. Im aktuellen KuMuLi-Projektunterricht (Kunst-Musik-Literatur) steht Picasso im Zentrum. Und zwar für die gesamte Schule. Thema der Hospitationsstunden war: „Picasso und Mathematik“. Die Lehrerin fragte: Welche mathematischen Fragen könnte man zu Picasso entwerfen? Die Antworten zeigten das ganze beeindruckende (Vor)wissen dieser kleinen, z.T. noch verschlafenen Wesen: „Wie viele Frauen hatte Picasso?“ (Damit hatte man sich schon in einer der vorherigen Stunden beschäftigt). Der nächste kleine Finger schnellte hoch: „Wie viele Bilder hat Picasso gemalt und was kostete das teuerste seiner Bilder?“ Die Fragen glichen sich bis auf die Gegenstände, weshalb Frau S. die SchülerInnen aufforderte, sich die verschiedenen Wörter anzuschauen, die sie in Deutsch zu Picasso notiert hatten und die vorne auf einem Plakat an der Tafel hingen (Fächerübergreifendes, vernetztes Denken! Echte Chance auf Vertiefung, Verstehen, Merken, Erfolg). Neuer Impuls: Was könnte man errechnen? Wie lange er lebte. Einnahmen der drei teuersten Bilder. Usw. usf. Dann gingen die SchülerInnen in Trainer-Sportler-Paarungen (siehe letzte Hospitation) an die Arbeit mit ihren Projektheften. Als ich mir eins der Projekthefte genauer ansah, begann sich der Schwerpunkt meines Hospitationsberichtes herauszukristallisieren. Material. Dieser an Material übervolle Raum, diese mit so viel Liebe, Mühe und Weitblick konzipierten Projekthefte. Material und (guter) Unterricht. Diese Kombination weckte mein Interesse sowie das Bedürfnis, sie näher zu reflektieren. Was habe ich für mich entdecken können?

Material und Vielfalt
Eine Pädagogik der Verschwendung. Ressourcen im Überfluss. Im Raum dieser JÜL-Gruppe findet es sich durch eine einzige Lehrerin auf der Materialebene umgesetzt. Nicht durch Senatsvorgaben. Nicht durch Bevorteilung seitens der Schulleitung. Nicht durch persönlichen Sammelzwang. Und auch nicht durch reine Zufälligkeit. Diese Lehrerin hat es v.a. aus pädagogischer Überzeugung heraus getan. Sie ist Anhängerin, aber keine Verfechterin der Montessori-Pädagogik. Material als Schlüssel zur Freiarbeit. Material und Umgebung auf das Kind hin orientiert, beide mit Aufforderungscharakter zum möglichst selbstständigen Lernen. Dazu muss das Material vielfältig sein. Haptisch, sinnlich, direkt, abstrakt, formbar, experimentell, nachprüfbar, schüttelbar, rüttelbar, federleicht, bleischwer, kristallin, eckig, rund, weich, hart, sandig, leuchtend. Dagegen die Standardmaterialien gewöhnlichen Schulalltags: Arbeitsblatt. Buch. Gelegentlich PC und Smartboard. Welch Wüste der Erfahrungsmöglichkeiten!

Material und Wertschätzung
  • Ferientagebücher: Jedes Kind hat von Frau S. ein kleines quadratisches Heftchen bekommen. Die Hefte sind von Außen betrachtet bunt. Warme Farben fließen ineinander über. In schwarzer, kalligrafisch wirkender Schrift hat die Lehrerin auf jedes Heft eigenhändig „Ferientagebuch von (Name des Kindes)“ geschrieben. Die Hefte haben etwas Künstlerisches an sich. Sie wirken wie eine kleine Kostbarkeit, die dem jeweiligen Kind symbolisiert: Du bist es mir wert. Die SchülerInnen bekommen diese Kostbarkeit geschenkt. Und sie zahlen der Lehrerin die entgegengebrachte Wertschätzung 1:1 zurück. In den Heftchen finden sich wirkliche Einblicke in ihr Leben, in das was sie mit Mama und Papa oder ihren Geschwistern in den Ferien gemacht haben („Wir waren mit dem Hund im Wald und haben Stöcker gesammelt und Blätter auch.“ Aha, dieses Kind hat einen Hund. Und seine Eltern gehen mit ihm in den Wald. Nehmen sich also Zeit und vermitteln eine gewisse Wertigkeit der Natur). Verziert sind diese Einträge oftmals mit geradezu rührenden Zeichnungen der Sechs- bis Achtjährigen. Kinder, die in den Ferien an Schule denken! Kinder, die in den Ferien das Schreiben-üben nicht vergessen. Welche Leistung der Lehrerin! Und nach den Ferien? Da werden die SchülerInnen angehalten, ihre Ferientagebücher einem anderen Kind vorzustellen. Dann trifft man sich im Kreis und jedes Kind stellt vor, was sein/e Partner/in in den Ferien alles erlebt hat. Zuhören lernen, Präsentieren lernen, Wertschätzen lernen. Die Arbeit, die Frau S. in diese kleinen Heftchen steckt, sie wird gleich mehrfach honoriert. 
  • Ausrangiertes: Was tun mit Material, dass man nicht mehr benötigt? SchülerInnen schenken? Warum eigentlich nicht?! Frau S. hat genau das in der Hospitationsstunde getan. Das Leuchten in den Augen der Kinder, einfach schön! Geschenkt? Für mich? Ohne Gegenleistung? Diese scheinbare Großzügigkeit, hinter der so viel echte Achtsamkeit steht. Bedacht, mitgedacht, gesehen, geachtet. Achtsamkeit, welch schönes Wort im Kontext der Schule. 
  • Bücher: Picasso. Im Raum hingen nicht nur Bilder und Fotos von und zu Picasso, auch hatte die Lehrerin Unmengen von Kunstbüchern zu Picasso. Woher hat sie nur so viel Material? Die Bücher stammten aus der Bibliothek. Frau S. hielt jedes Buch wie ein Kostbarkeit hoch, erklärte, was es darstellte, dass man es sich natürlich anschauen dürfe, dann aber sorgfältig in die dafür bereit gestellte Kiste zurücklegen möge. Wertschätzung von Büchern! Das mag fast schon antiquiert wirken, ist in Zeiten medialer Flüchtigkeit vielleicht aber viel notwendiger als gedacht. 

Material und Hilfestellung 
  • Lernplakate und Hilfsschilder: Wie schon in meinem letzten Hospitationsbericht geschrieben, hängen überall im Raum Lernplakate und Hilfsschilder. Doch diesmal wurde mir bewusst, dass ein Teil der Lernplakate von den SchülerInnen selbst im Kontext anderer Stunden gestaltet worden war. Fächer-ineinandergreifendes Hilfsmaterial (Die Ergebnisse des Deutschunterrichts als Grundlage des Projektunterrichts). Letztlich also eine Hilfestellung, die auf vernetztes und vertiefendes Denken setzt
  • Zettel: Differenzieren bei so vielen SchülerInnen? Unmöglich! Keine Frage, Differenzierung ist eine der großen Herausforderungen in Schule. Aber manchmal ist sie so simpel! Um einigen SchülerInnen die Startphase in ihre Arbeit mit dem Projektheft zu vereinfachen, legte Frau S. kleine Zettel auf manche Tische, auf denen eine erste Lösung (eine erste mathematische Frage zu Picasso) stand. Die Zettel waren schlicht, der Text mit Kugelschreiber notiert. Die entsprechenden SchülerInnen konnten diese Lösung erst einmal abschreiben. Danach waren sie aufgefordert eigenen Lösungen zu notieren. Pro Zettel hatte die Lehrerin vielleicht zehn Sekunden investiert. Der Nutzen deutlich sichtbar: alle SchülerInnen waren sofort aktiv und motiviert bei der Sache. Die Aussicht auf Erfolg – sie war gegeben. Die Lehrerin selbst schien stark entlastet
Material und Teamarbeit
  • Projektheft-Erstellung: Die Projekthefte zu Picasso waren im A5-Format, mit einem Umschlag versehen und von Außen durch die SchülerInnen gestaltet worden. Als ich die Hefte durchblätterte, notierte ich mir: „Schule scheint für ihre SchülerInnen viel Material selbst herzustellen/ zu entwerfen und zu drucken. Finanzierung? Erfragen.“ Im an die Hospitationsstunde anschließenden Gespräch erzählte mir Frau S., dass sie derartige Hefte selbst entwirft und per Kopierer drucken und Klammern lässt. Das aktuelle Heft ist jedoch ein Kooperationsprodukt. Frau S. betreut nämlich eine Praktikantin und hat sie in die Projekthefterstellung einbezogen. Man könnte sagen, sie hat die sich bietenden Ressourcen (motivierte Praktikantin mit Zeit) klug genutzt. Die Praktikantin hat viel über Picasso recherchiert und u.a. einen Text über seine Frauen sowie über seine verschiedenen Farbphasen verfasst. Frau S. hat diesen dann didaktisch reduziert und mit entsprechenden Aufgaben versehen. Differenzieren bei so vielen SchülerInnen? Unmöglich! Als Teamplayer vielleicht nicht.
Material und Anreiz
  • Aufgabentypen: Was mich an den Projektheften fasziniert hat, waren die vielfältigen, fächerübergreifenden und oftmals sehr offenen Aufgabentypen. Es handelt sich, wie ich erfuhr, um sogenannte AEIOU-Aufgaben, d.h. kognitiv aktivierende Aufgaben, die auf Annemarie von der Groeben zurückgehen. A steht für Argumentieren, E steht für Erkunden, I steht für das Imaginieren, O für das Ordnen und U für das Urteilen. Bei solcherlei Aufgabentypen ist es übrigens nicht verwunderlich, dass an dieser Schule sowohl 1.-3.Klässler als auch 10.Klässler sowie SchülerInnen mit und ohne Förderstatus mit den gleichen Heften arbeiten. Nicht das Heft macht hier die Differenzierung, sondern die Offenheit der Aufgabenstellung schafft Platz für differenzierte Ergebnisse, d.h. Ergebnisse mit hohem inidividuellen Zuschnitt. Differenzieren bei so vielen SchülerInnen? Unmöglich! Mit Hilfe von AEIOU-Aufgaben vielleicht weniger.
Abschließendes.
Aus meinen bisherigen Hospitationserfahrungen kann ich Folgendes schlussfolgern: 
  1. Hospitation ist einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Schulentwicklung, denn der Input an machbar Innovativem ist hoch und motivierend.
  2. An guten Schulen, bei herausragenden LehrerInnen, lohnt sich ein mehrfaches Hospitieren bei ähnlichem Setting. Das eigenen Verständnis für´s Neue schärft sich. 
  3. Ein Nachgespräch zur Hospitation steigert den Gewinn einer Hospitation um ein Vielfaches. Unklarheiten können beseitigt, Detailfragen erörtert, Angedachtes gemeinsam weitergedacht werden. Und nicht zuletzt, es kommen hierbei neue, trächtige Fragen auf. 
Eine dieser trächtigen Fragen stellte sich mir. Im Auseinandersetzen mit dem Schulgeschehen an der Paula-Fürst-Oberschule wurde mir klar, wie toll es sein muss, wenn man konzeptionell von der Grundschule über die Sek I bis hin zur Sek II denken kann. Welchen Gewinn es für die SchülerInnen bedeuten muss, wenn auf die in der Grundstufe erlangten Kompetenzen in der Sek I auch zurückgegriffen und von hier aus weitergedacht wird. Ich bedauerte sehr, dass meine Schule nur die 7.-10. Klasse umfasst. Und dann, eine kleine Initialzündung! Was ist eigentlich mit unserer Kooperationsschule? Wir haben doch eine?! Wie hieß sie nochmal? Ich notierte mir: „Diese Kooperation muss mit Leben erfüllt werden! Wir LehrerInnen müssen einander begegnen, uns austauschen, uns gemeinsam aufeinander abstimmen.“ 
Ja, das klingt gut!


Donnerstag, 22. Dezember 2016

Farbe bekennen

Auf Spiegel-online habe ich heute einen Artikel über eine Schweizer Schule gelesen. Dort werden Farben statt Noten verteilt. Ich persönlich stehe der Benotung von SchülerInnen sowieso kritisch gegenüber, aber das ist nicht der Grund, warum ich diesen Artikel empfehlen möchte. Vielmehr finde ich viel grandioser, dass er zeigt, was an Schule alles möglich ist.  
Wer also Schulentwicklung mitgestalten möchte, kann gar nicht groß genug denken. Alles ist hinterfrag- und veränderbar, nichts muss, alles kann. Und nicht nur in der Schweiz, auch hier in Berlin sind die Gestaltungsmöglichkeiten riesig. Rhythmisierung des Schulalltags? In den Händen von uns LehrerInnen! Notenvergabe an Schule? Unser Ding! Projektbezogenes, fächerübergreifendes Lernen? Gibt´s schon!
Wir, die wir Schule verändern möchten, sollten also aus dem Vollen schöpfen. Wir sollten uns fragen, welche Schule wir uns wünschen! Wir sollten fantasievoll träumen. Groß und bunt! Und dann sollten wir schauen, wie und mit wem setzt man um, was man für richtig hält. Auf geht´s!

Donnerstag, 24. November 2016

Außergewöhnliche Schulen

Jakob Muth
Morgen geht es mit der gesamten Weiterbildungsgruppe nach Hamburg. Zum Hospitieren. An Vorzeigeschulen zur Inklusion. Ich freu mich schon drauf! Es wird bestimmt spannend.
Konkret werden wir die:
besuchen. 
Eine unserer vorbereitenden Aufgaben ist, dass wir die Homepage unserer jeweiligen Hospitationsschule studieren sollen, um vorab wichtige Dinge zur Schulentwicklung und zum Schulprogramm zu erfahren. Allein dieses Nachlesen gibt derart viele Denkimpulse, dass man festhalten kann, dass gute Schulentwicklung neben dem Hospitieren auch ein genaues Studieren von Schulhomepages beinhalten sollte
Bei meinen Recherchen zur Max-Brauer-Schule bin ich beispielsweise auf die "Club of Rome Schulen" sowie die mit dem Jakob-Muth-Preis ausgezeichnete Schulen gestoßen. Beide Institutionen bieten durch entsprechende Kriterienkataloge (zum Beitritt oder zum Preiswettbewerb) starke Orientierungspfeiler für die eigenen Schulentwicklung.

Erinnert sei an dieser Stelle auch an die reformpädagogisch orientierten Schulen im Verbund "Blick über den Zaun".


Samstag, 19. November 2016

Paula-Fürst-Schule I

Lernen von den Besten

Am 04.11.2016 hospitierte ich an der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule Berlin in einer JÜL-Klasse (Jahrgangsübergreifendes Lernen, 1.-3. Klasse) bei Frau S.Mein Erster Eindruck war nahezu überwältigend. Der Klassenraum platzte vor Lernmaterial, Plakaten, Instrumenten, Ordnern, Schaugegenständen, und vielem mehr, nahezu aus allen Nähten. „Hier könnte ich weder unterrichten noch lernen!“ waren meine ersten Gedanken. Fasziniert war ich trotzdem. Dann ging es los. Nacheinander trudelten die Schüler ein und begannen fließend mit der Freiarbeit. Eineinhalb Stunden später stellte ich fest, dass es hervorragend funktioniert hatte. In meiner eigenen 7. Klasse dagegen ist es mit dem selbstständigen Arbeiten meist ein Krampf. Warum war das so? Was hatte die Lehrerin (sie war alleine) getan, welche Strukturen hatte sie gesetzt, damit selbstständiges Lernen erfolgreich gelingen konnte? Ich denke Folgendes ist wesentlich:

  • JÜL: Frau S. hat eigentlich nie eine neue Klasse, d.h. sie fängt eigentlich nie bei Null an. Ein Teil der SchülerInnen weiß stets schon Bescheid. Wo liegen welche Materialien? Was bedeuten welche Rituale? Wie beginnt die Freiarbeit und wo kann ich mir Hilfe holen? All das und vieles mehr wird von den älteren an die jüngeren SchülerInnen weitergegeben. Hinzu kommt, dass die Älteren den Jüngeren assistieren, ihnen auch inhaltlich ggf. weiterhelfen. 
  • Begrüßung: Die SchülerInnen treten nacheinander in die Klasse ein und werden individuell von der Lehrerin begrüßt. Eine initiale Begrüßung an alle entfällt. Was nicht heißt, dass sich die Lehrerin nicht auch an alle wendet, aber das macht sie nur, wenn sie auch von allen etwas Gleiches will. Es ist auffällig, frontaler Unterricht scheint klassischer Weise auch mit einer frontalen Begrüßung an alle, individualisierte Freiarbeit mit einer Begrüßung an den Einzelnen zu beginnen.  
  • Anfangsritual: Die SchülerInnen sollen am Anfang der Freiarbeit den Tagesplan in ihr Logbuch abschreiben sowie ihr individuelles Freiarbeitsziel. Damit schafft sich die Lehrerin quasi einen Puffer, denn die SchülerInnen werden natürlich unterschiedlich schnell fertig, so dass die Lehrerin die ersten schon beraten bzw. in die Spur helfen kann, während die anderen noch leise abschreiben. Auch ist sofort eine (leichte) Aktivität aller gewährleistet. 
  • Raum: Der Raum ist nicht klassisch gestaltet, sondern in mehrere Lernnischen unterteilt. Die Tafel bildet nicht das Zentrum des Raumes, sondern ein runder roter Tisch, an dem die Lehrerin sich oft zur Verfügung stellt. Die Tür steht offen. Während der Freiarbeit arbeiten mehrere SchülerInnen vor dem Raum in weiteren Lernnischen. Der Raum unterstützt also die angestrebte Aktivität bzw. Lernform. Zum Frontallernen wäre er nahezu ungeeignet. D.h. wer individualisierten Unterricht haben möchte, der muss sich auch räumlich neu orientieren. Von den SchülerInnen wird dies übrigens verlangt, denn sie haben keine klassische Sitzordnung. Jeder hat zwar einen zugewiesen Sitzplatz/Bereich, in den Phasen der Freiarbeit gilt dieser aber nicht. Vielmehr sitzen die SchülerInnen da, wo sie etwas am besten lernen können – die Sitzordnung richtet sich also nach den jeweiligen Bedürfnissen der SchülerInnen – also nach dem Wunsch nach Hilfestellung, dem Bedarf an Material, dem Ruhebedürfnis, nach Sympathie, Schutz- und Aufmerksamkeitsbedürfnis… 
  • Regeln: Frau S. hat die einzige Regel in einen goldenen Bilderrahmen neben die Tür gehängt. Die Regel ist simpel und kraftvoll, laut Frau S. ist sie gewisser Maßen eine Essenz ( „Eine inklusivere Regel gibt es nicht!“). In dem Bilderrahmen steht schlicht, aber in goldenen Lettern: Ich gebe mein Bestes! 
  • Materialangebot: Das Material- und Aufgabenangebot ist riesig! Und mindestens genauso wichtig, es ist auch haptisch! Nur Arbeitsblätter? Fehlanzeige! Stattdessen: Puzzleteile, mittels deren Hilfe man eine eigene Europakarte malt/ Ketten und Perlen zum Rechnen/ Zeitungen zum Erarbeiten der aktuellen Weltnews/ Buch und laminierte Karten zum Bestücken und Beschriften einer riesigen Afrikakarte/ Matherollen, die mit gelerntem Wissen anwachsen/ magnetische Stäbchen zum Bauen diverser geometrischer Figuren/ einen Rollteppich zum Belegen mit Mathelösungen/ usw. usf. Montessori! Grandios! Zudem, ein Scheitern aufgrund vergessener Arbeitsmaterialien ist nicht möglich, denn es gibt frei zugänglich Scheren, Kleber, Radiergummi, Stifte und Papier. 
  • Ruheritual: Es gibt ein Glöckchen. Wenn es ertönt, soll Ruhe einkehren. So etwas nutzen viele Lehrer, aber Frau S. nutzt es auf sehr interessante, andere Art und Weise: Wenn es einem Schüler zu laut wird, dann ist dieser angehalten nach vorne zu kommen und das Glöckchen zu läuten. Der Impuls geht also von den SchülerInnen aus. Sie übernehmen damit Verantwortung für ihr Lernen. Und sie üben kooperatives, soziales Verhalten, denn wenn jemand läutet, sind alle angehalten alles aus der Hand zu legen, die Augen zu schließen und leiser als bisher weiterzuarbeiten, wenn das Klingen des Glöckchens verstummt ist. Zusätzlich gibt es Kopfhörer/Ohrschützer, falls man absolute Ruhe wünscht, sie aber nirgends findet. 
  • Hilfestellungen/ Kooperation: Kein Schüler wird alleine gelassen! Überall an den Wänden und in den Lernnischen finden sich Hilfsschilder zu grundsätzlichen Dingen (Buchstabenschreibweise, Grundrechenarten etc.). Ein Sich-beschämt-Fühlen aufgrund nachgewiesener grundlegender Wissenslücken, das könnte hier in diesem Raum der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus sind die SchülerInnen angehalten die Freiarbeit zu zweit zu machen. Des Helfens und des Austauschs, des Redens über die Sache und damit des Lernens wegen. Zudem gibt es Trainer-Sportler-Tandems. Trainer sind SchülerInnen, die bereits eine gewisse Expertise aufweisen und den Sportler, der Motivation, Durchhaltevermögen und Grundlagen mitbringt (also kein Nichtskönner ist), auf ein neues Niveau hieven wollen. Dabei sollen sie selbst auch lernen. 
  • Lerndokumentation: Via Logbuch reflektierten die SchülerInnen ihr eigenverantwortliches Tun. Das Logbuch schien Dreh- und Angel-, aber auch Fix- und Orientierungspunkt für das Lernen der SchülerInnen zu sein. 
  • Noten: Die SchülerInnen bekommen keine Noten. Lernen bekommt hier ein anderes Fundament. Nicht für Noten wird hier gelernt, sondern für sich. D.h. auch, dass dieser notenfreie Raum kongruent mit der Idee des individualisierten Lernens geht. Denn: Noten bedeuten ja gerade eine Ausrichtung an der Norm, während individualisiertes Lernen eine Ausrichtung am Individuum, also sich selbst meint. 
  • Bedürfnisorientierung: Zu meiner Überraschung geht nach ca. einer Stunde das Licht aus und leise Musik ertönt. Entspannungszeit! Wie selbstverständlich legen einige SchülerInnen den Kopf auf den Tisch, andere holen ein Kissen. Kopf auf dem Tisch bedeutet, dass man massiert werden möchte. Die Lehrerin geht rum und massiert die Rücken der SchülerInnen. Diese haben geschlossene Augen, wirken völlig entspannt und v.a. sieht man ihnen an, wie wohl sie sich fühlen. Zum Teil bilden sich wahre Massierketten: Die SchülerInnen massieren sich gegenseitig. Es gibt sogar einen Massierdienst, der ist heute aber nicht aktiv. Die SchülerInnen und die Lehrerin so zu beobachten ist wahrlich berührend. So kann Schule sein. Angstfrei. An den Bedürfnissen der SchülerInnen orientiert. Da fällt mir auf, die SchülerInnen haben alle auch Hausschuhe an. Anschließend holt jeder sein Pausenbrot raus. Es wird gemeinsam gefrühstückt, gleichfalls ist die Stunde aber noch nicht zu Ende. 
  • Lehrerrolle: Die Lehrerin war toll! Warmherzig, freundlich, umsorgend, aber auch klar, präsent, ordnend, einfordernd. Und kollegial. So schwörte sie die Klasse bspw. ein, die nachfolgende Lehrerin zu unterstützen, da diese nicht Klassenlehrin sei und es demzufolge weniger leicht habe, da sie die Klasse nicht so gut kenne. Als ein Schüler einen anderen bei ihr „anschwärzen“ wollte, sagte sie: Schüler X ist Dein Klassenkamerad, nicht wahr? Du hältst also zu ihm und verpetzt ihn nicht. Du hältst zu ihm und wenn es sein muss, gegen mich. Ist das klar?!“ Summa Summarum war die Lehrerin ein nachahmenswertes Vorbild. 
  • Elternarbeit: Die Lehrerin nimmt die Bedürfnisse der Eltern wahr und geht auf diese ein. Bspw. hatten mehrere Eltern geklagt, dass ihre Kinder kaum was von der Schule erzählen und sie zudem nicht wissen, was der Stand des Lernens ist. Daraufhin führte die Lehrerin eine Hausaufgabe ein, die sie an ein emotionales Erlebnis knüpfte (treffen mit einem Dichter und Musiker). Diese Hausaufgabe gab den Eltern die Chance mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen und via Bemerkungen seitens der Lehrerin Einblicke in den Leistungsstand zu erhalten.

Abschließend muss ich sagen, dass mir die Zeit erneut (ähnlich wie in der Hospitation an der Heinrich-von-Stephan-Schule) seltsam erschien. Auch hier war es nur eine reguläre Doppelstunde, aber die Zeit kam mir dichter, intensiver genutzt vor. Über die Zeit würde ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt
nochmal gesondert nachdenken.



Auf den Lehrer kommt es an!

Man könnte gegen Wocken die Studie von John Hattie ins Feld führen, auch wenn mir bewusst ist, dass:

  • sich die Befunde nicht 1:1 auf die deutsche Schulwirklichkeit übertragen lassen, da sich Hatties Datengrundlage v.a. auf das angelsächsische Bildungssysteme bezieht. 
  • Kreativität oder Demokratiefähigkeit, der Sinn für Ästhetik und für das Soziale in Hatties Listen als Lernziele nicht auftauchen, da ihn nur messbare kognitive Fachleistungen interessierten.

Ich beziehe mich nachfolgend auf den Artikel aus der Zeit.

Am Ende seiner Studie stellt Hattie eine Art Bestenliste der wirkungsvollsten pädagogischen Programme zusammen. Ganz unten in der Tabelle: Äußere Strukturen von Schule und Unterricht. Die größten Unterschiede im Lernzuwachs bestehen nicht zwischen Schulen, sondern zwischen einzelnen Klassen, und das bedeutet: zwischen einzelnen Lehrern. Das ist Hatties zentrale Botschaft! Was SchülerInnen lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen Rahmenbedingungen, die Schulform oder spezielle Lehrmethoden – sind dagegen zweitrangig. Auf den guten Lehrer kommt es also an.


Für Hattie darf ein guter Lehrer kein bloßer Lernbegleiter sein, kein Architekt von Lernumgebungen. Will er etwas erreichen, muss ein Lehrer sich vielmehr als Regisseur verstehen, als »activator«, der seine Klasse im Griff und jeden Einzelnen stets im Blick hat. Auch dass die Individualisierung des Unterrichts per se eine hohe Lernwirksamkeit besitzt, kann man nach Hatties Befunden nicht sagen. Vielmehr sind folgende Lehrereigenschaften sehr erfolgsversprechend:
  • stringenten Klassenführung
  • Transparenz und Klarheit (SchülerInnen also verständlich machen könne, was man als Lehrer von ihnen will)
  • Perspektivwechsel und permanente Selbstreflexion (»Ein guter Lehrer sieht den eigenen Unterricht mit den Augen seiner SchülerInnen«/ Wenn meine Klasse nicht vorankommt, sollte die Frage lauten, was mache ich falsch, was kann ich ändern?).
  • Feedbackkultur pflegen (Kein anderes Instrument kann in Hatties Ranking eine größere Effektstärke aufweisen als die systematische Selbsteinschätzung von SchülerInnen. Hattie predigt eine Kultur des »Feedbacks«, kein Begriff fällt häufiger in seinem Buch.)
  • Fehler schätzen (Fehler als die eigentlichen Treiber allen Lernens/ »the essence of learning« begreifen).
  • Breites Repertoire an Unterrichtsstilen (besonders wirksam ist die »direkte Instruktion«, also der häufig als Lehrermonolog missverstandene Frontalunterricht. Auch der offene Unterricht kann durchaus ertragreich sein – wenn die SchülerInnen dem eigenständigen Lernen gewachsen sind und die LehrerInnen es gründlich vorbereiten und über seinen Verlauf penibel wachen. Dass beides jedoch anscheinend selten zutrifft, darauf verweisen Hatties Forschungsergebnisse. Jedoch, ein guter Lehrer verfügt für Hattie eh über ein breites Repertoire von Unterrichtsstilen, die er je nach Klasse ausprobiert, »evidenzbasiert« prüft und – wenn nötig – auch wieder verwirft. »There are no magic bullets«, sagt Hattie, es gibt keine pädagogischen Patentrezepte.)
  • Emotionale Seite des Lernens berücksichtigend (Ohne Respekt und Wertschätzung, Fürsorge und Vertrauen könne Unterricht nicht gelingen.)

Gute Pädagogen sind also wichtig. Die logische Schlussfolgerung: es gibt auch schlechte Vertreter des Metiers. Letztlich müssten wir laut Hattie also weniger unser Bildungssystem grundlegend umdenken, als vielmehr den Lehrer ins Zentrum allen Redens über Schule stellen. Denn, auf den Lehrer kommt es an! Die ZEIT fragt diesbezüglich: „Das klingt banal, (…). Doch warum glaubt die Politik noch immer, Lernergebnisse mit Strukturreformen verbessern zu können? Wieso blüht gerade in der deutschen Schuldebatte ein Methodenglauben?“ Man ist geneigt, nach der Begegnung mit Hans Wocken, sich letztere Frage selbst einmal zu stellen?



Indirekter Unterricht

Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Hans Wocken 
Am 14.10.2016 hielt Prof. Dr. Hans Wocken - jener Hans Wocken, der dem deutschen Bildungssystem mangelnde Inklusion bescheinigt - einen Vortrag über "Inklusiven Unterricht" an der FU Berlin. Ich persönlich habe diesen Vortrag als sehr bereichernd erlebt. Eloquent vorgetragen, mit ruhiger, schöner Stimme. Medien- und Anekdotengestützt. Dazu ein bunter Strauß an Maßnahmen, wie man ganz konkret inklusiven, d.h. für Wocken indirekten Unterricht gestalten kann. Das hat mir gefallen. Ebenso fand ich es ein sehr schönes Gefühl, nach Jahren des Schulalltages, mal wieder in einem Vorlesungsaal diese studentische Atmosphäre zu schnuppern.
Das Bild jedoch, das mir nach zwei Wochen Ferien noch immer im Kopf herumgeisterte, ist alles andere als positiv besetzt. Es handelt sich um dieses schreckliche Ampel-Ritual, was Wocken in seinem Vortrag positiv hervorhob: Vor den jeweiligen Tischen eines Lehrerzimmers standen Ampeln. Rot bedeutete, dass man den Lehrer gerade nicht ansprechen könne, Gelb war so eine Art Standby-Modus und bei Grün war der Lehrer dann so weit. Vor den Tischen geisterten Schüler herum. Schrecklich! Und kalt! Mechanisch irgendwie! Zu Tode strukturorganisiert, könnte man sagen. Es hatte etwas vom Nummernziehen auf dem Arbeitsamt. Fast schon kafkaesk. Man hätte den Schülern ja auch einfach beibringen können, höflich nachzufragen, kurz zu warten, Termine abzusprechen – sprich angemessen kommunizieren zu lernen. Stattdessen… Gar nicht auszudenken, die Ampeln kämen abhanden, bräuchte man dann einen Lehreransprech-Verkehrspolizisten?

Mechanisch. Kalt. Hm…Um ehrlich zu sein, dieser indirekte, delegierte Unterricht erweckt bei mir stets zweierlei – Interesse und Abneigung, letztlich also tiefgehende Ambivalenz. Es hat was mit diesem mechanisierten Unterrichtsgebaren zu tun, in dem der Lehrer hauptsächlich in die Rolle des Mentors und Begleiters zurücktritt. Manchmal fast ganz von der Bildfläche zu verschwinden scheint.
Ich selbst habe einen kleinen Sohn. Oftmals ertappe ich mich dabei, wie ich ihn anrege, indem ich die Dinge zu mehr mache als sie sind - sie förmlich aufblase, groß mache, ihnen Leben und vielleicht Faszination einhauche. Und noch viel öfter ist es umgekehrt der Fall. Die Vorstellung wir würden uns gegenseitig Lern- oder Spielarrangements hinlegen… Ich weiß nicht. Eher scheinen wir den Dingen gemeinsam Bedeutung zu geben. Durch Interaktion, Emotionen, Phantasie, Humor, gestreute Zweifel, usw. Vielleicht könnte er dies auch mit einem Gleichaltrigen, aber wäre das nicht eher wie Schwimmen im eigenen Saft? Ist meine Rolle als Lehrer, der ein anderes Überblicks- und Allgemeinwissen hat, nicht zu großem Teil auch die Emotionalisierung und damit einhergehend Eröffnung fremder Welten, d.h. dem Schüler fremde Welten?
Wocken meinte im an die Vorlesung anschließenden Workshop ja selbst, dass für ihn der indirekte Unterricht nicht alleinig stehen dürfe, sondern dass er stets durch direkten und kooperativen Unterricht flankiert werden müsse. Für mich klang dieser Nachschub von einem offensichtlichen Verfechter des delegierten Unterrichts nicht glaubhaft. Eher halbherzig.
Dabei verraten seine Methodikvokabeln schon so viel: Lernkontrakte! Die Sprache von Justiz und Wirtschaft. Oder Kompetenz-Raster, also eine Art (Raster-)Fahndung nach Kompetenzen! Ein Vermessen des lernenden Individuums. Welches Kind will das, will das von sich aus?

Es bleibt dabei. Ich bin ambivalent. Positiv in Erinnerung - und deshalb läuft dieser Artikel auch unter dem Label: Lösungen - ist mir die Friedensbrücke geblieben oder der Raum als 3. Pädagoge, oder die Think-Pair-Share-Methode, oder die Improtechnik des „Gebärdendolmetschers“, die mir wiederholt zeigt, wie fruchtbar Theatertechniken sein können. Letztere belegen meines Erachtens, dass Kultur in Schule gar nicht hoch genug gewertet werden kann, weil sie das leistet, was nicht zu kurz kommen sollte: Emotionalisierung und Identifizierung.