Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Hans Wocken |
Am 14.10.2016 hielt Prof. Dr. Hans Wocken - jener Hans Wocken, der dem deutschen Bildungssystem mangelnde Inklusion bescheinigt - einen Vortrag über "Inklusiven Unterricht" an der FU Berlin. Ich persönlich habe diesen Vortrag als sehr bereichernd erlebt. Eloquent vorgetragen, mit ruhiger, schöner Stimme. Medien- und Anekdotengestützt. Dazu ein bunter Strauß an Maßnahmen, wie man ganz konkret inklusiven, d.h. für Wocken indirekten Unterricht gestalten kann. Das hat mir gefallen. Ebenso fand ich es ein sehr schönes Gefühl, nach Jahren des Schulalltages, mal wieder in einem Vorlesungsaal diese studentische Atmosphäre zu schnuppern.
Das Bild jedoch, das mir nach zwei Wochen Ferien noch immer im Kopf herumgeisterte, ist alles andere als positiv besetzt. Es handelt sich um dieses schreckliche Ampel-Ritual, was Wocken in seinem Vortrag positiv hervorhob: Vor den jeweiligen Tischen eines Lehrerzimmers standen Ampeln. Rot bedeutete, dass man den Lehrer gerade nicht ansprechen könne, Gelb war so eine Art Standby-Modus und bei Grün war der Lehrer dann so weit. Vor den Tischen geisterten Schüler herum. Schrecklich! Und kalt! Mechanisch irgendwie! Zu Tode strukturorganisiert, könnte man sagen. Es hatte etwas vom Nummernziehen auf dem Arbeitsamt. Fast schon kafkaesk. Man hätte den Schülern ja auch einfach beibringen können, höflich nachzufragen, kurz zu warten, Termine abzusprechen – sprich angemessen kommunizieren zu lernen. Stattdessen… Gar nicht auszudenken, die Ampeln kämen abhanden, bräuchte man dann einen Lehreransprech-Verkehrspolizisten?
Mechanisch. Kalt. Hm…Um ehrlich zu sein, dieser indirekte, delegierte Unterricht erweckt bei mir stets zweierlei – Interesse und Abneigung, letztlich also tiefgehende Ambivalenz. Es hat was mit diesem mechanisierten Unterrichtsgebaren zu tun, in dem der Lehrer hauptsächlich in die Rolle des Mentors und Begleiters zurücktritt. Manchmal fast ganz von der Bildfläche zu verschwinden scheint.
Ich selbst habe einen kleinen Sohn. Oftmals ertappe ich mich dabei, wie ich ihn anrege, indem ich die Dinge zu mehr mache als sie sind - sie förmlich aufblase, groß mache, ihnen Leben und vielleicht Faszination einhauche. Und noch viel öfter ist es umgekehrt der Fall. Die Vorstellung wir würden uns gegenseitig Lern- oder Spielarrangements hinlegen… Ich weiß nicht. Eher scheinen wir den Dingen gemeinsam Bedeutung zu geben. Durch Interaktion, Emotionen, Phantasie, Humor, gestreute Zweifel, usw. Vielleicht könnte er dies auch mit einem Gleichaltrigen, aber wäre das nicht eher wie Schwimmen im eigenen Saft? Ist meine Rolle als Lehrer, der ein anderes Überblicks- und Allgemeinwissen hat, nicht zu großem Teil auch die Emotionalisierung und damit einhergehend Eröffnung fremder Welten, d.h. dem Schüler fremde Welten?
Wocken meinte im an die Vorlesung anschließenden Workshop ja selbst, dass für ihn der indirekte Unterricht nicht alleinig stehen dürfe, sondern dass er stets durch direkten und kooperativen Unterricht flankiert werden müsse. Für mich klang dieser Nachschub von einem offensichtlichen Verfechter des delegierten Unterrichts nicht glaubhaft. Eher halbherzig.
Dabei verraten seine Methodikvokabeln schon so viel: Lernkontrakte! Die Sprache von Justiz und Wirtschaft. Oder Kompetenz-Raster, also eine Art (Raster-)Fahndung nach Kompetenzen! Ein Vermessen des lernenden Individuums. Welches Kind will das, will das von sich aus?
Es bleibt dabei. Ich bin ambivalent. Positiv in Erinnerung - und deshalb läuft dieser Artikel auch unter dem Label: Lösungen - ist mir die Friedensbrücke geblieben oder der Raum als 3. Pädagoge, oder die Think-Pair-Share-Methode, oder die Improtechnik des „Gebärdendolmetschers“, die mir wiederholt zeigt, wie fruchtbar Theatertechniken sein können. Letztere belegen meines Erachtens, dass Kultur in Schule gar nicht hoch genug gewertet werden kann, weil sie das leistet, was nicht zu kurz kommen sollte: Emotionalisierung und Identifizierung.
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