Jede Schule kennt sie. Die SchülerInnen, die einen ratlos machen, für die die Schule schlichtweg nicht gemacht zu sein scheint. Die sich entziehen wo sie nur können, die nach völlig eigenen Regeln durch das Schulgebäude wabern, diffus, manchmal gewalttätig und laut. Die oftmals in ihrem Kiez schon eine Nummer sind, polizeilich erfasst. Diese SchülerInnen hinterlassen meist bei allen Beteiligten ein großes Aufatmen, wenn sie vollends schuldistanziert geworden sind bzw. dauerhaft suspendiert wurden.
Doch wem ist damit wirklich geholfen? Die Schule muss sich eingestehen, kein Konzept, keine Mittel gefunden zu haben, um diese SchülerInnen sinnvoll einzubinden, zu in-kludieren. Und die SchülerInnen selbst, welchem Werdegang steuern sie außerhalb der Schule zu?
Projekt Übergang: Die fünf Lernzugänge |
Frau Prof. Dr. Ulrike Becker hat diesbezüglich ein Konzept entwickelt, welches sie wissenschaftlich begleitet und unserer Weiterbildungsgruppe vorstellte. Ihre Einführungsworte fand ich bemerkenswert. Sie lauteten ungefähr wie folgt:
Inklusion, als Anerkennung und Akzeptanz aller SchülerInnen, muss sich auch bzw. gerade in Konfliktsituationen zeigen.
Der Begriff zeigt damit starke Parallelen zum Begriff der Toleranz. Und mit der ist es ja bekanntlich auch immer dann weit her, wenn die Meinungsverschiedenheiten am größten sind.
Das Konzept von Frau Prof. Dr. Ulrike Becker firmiert unter dem Namen "Projekt Übergang".
Da es sich im Wesentlichen hier nachlesen lässt, möchte ich nachfolgend nur ergänzende Punkte zum Vortrag dokumentieren.
A) Zum "Projekt Übergang"
- das Konzept ist nur bis zur 8. Klasse sinnvoll, da danach der Einfluss der Eltern und der Jugendhilfe auf Jugendliche schwindet; ab 9. Klasse eher Duales Lernen förderlich, um SchülerInnen einzubinden
- Lehrer, die die "Übergangsklassen" betreuen sollten dafür mit 14-16 Ermäßigungsstunden eingeplant werden (zusammen mit Schulleitung und -aufsicht zu klären)
- die temporären Lerngruppen sollten nach Möglichkeit 3./4. Stunde liegen (LehrerInnen in 1./2. Stunde dann nachsichtiger, da bald Entlastung)
- in den Übergangsklassen darf jedes Kind 1xWoche einen Gastschüler mitbringen (soziale Integration; belebende Impulse; versus Stigmatisierung)
- Arbeit am eigenen Thema (in den "Übergangsklassen") sollte nach Möglichkeit später im Klassenverband präsentiert werden (Wertschätzung); Werkbänke für eigene Arbeiten vorteilhaft; keine Ausflüge etc., da Übergangsklassen keine Highlight-Feierstunden sein sollen
- Schülerbüros dürfen von SchülerIn selbst gestaltet werden, zudem dient es als Rückzugs- und Konzentrationsort; deshalb sollte auch SchülerIn bestimmen dürfen, wer wann eintreten darf
- Lehrerberatung 1xWoche, Austausch aller Pädagogen mit LehrerInnen der "Übergangsklasse"
- regelmäßige Elternberatung ist wirksamstes aller Instrumente (notfalls Hausbesuche; Schweigepflicht verdeutlichen wo nötig)
- regelmäßiger, kooperativer Austausch zwischen Jugendamt und Schule soll Wirbelsturmeffekt nach Zieberth verhindern (Spannungen zwischen den Unterstützern wendet den Blick vom Kind ab, dass im Auge des Orkans steht)
- Ganztagsbetreuung erstrebenswert inklusive Essensversorgung, da derart schulinduzierte Spannungen zu Hause minimiert werden
- vorhergehende Einrichtungen mit einbeziehen und in Schulhilfekonferenz vorher alle auf "Projekt Übergang" einschwören
B) (Be)Deutung der störenden Verhaltensweisen
- Verhaltensstörungen dienen der Reduktion von Ängsten, stehen im Dienste der Abwehr und sind Antworten auf soziale Lebenslage des Schülers/ der Schülerin.
- Ängste lassen sich bei allen Beteiligten (Eltern, Kind, PädagogInnen) reduzieren durch feste Strukturen und haltgebende Beziehungen (siehe Projekt Übergang)
- Was LehrerInnen seitens der beschriebenen SchülerInnen als Provokationen erleben, sind also Verhaltensweisen, die diese SchülerInnen von zu Hause in die Schule tragen. Warum? Weil diese Verhaltensweisen zu Hause erfolgversprechend sind.
- Oftmals erreichen die SchülerInnen mit ihrem Verhalten, dass die LehrerInnen ähnlich wie die Eltern zu Hause schwingen. Die LehrerInnen werden aggressiv. Häusliche Konflikte werden in die Schule projiziert.
In Bezug auf die letzten beiden Punkten verwies Frau Prof. Dr. Ulrike Becker auf einen Herrn Ziebarth. Ich selbst habe ihn bereits aus einer schulinternen Fortbildung kennengelernt und kann ihn nur weiterempfehlen. Steckenpferd von Herrn Ziebarth ist es, diese Projektionsprozesse durch Systemaufstellungen aufzuzeigen, erfahr- und verstehbar zu machen, um von hier aus Lösungsansätze entwickeln zu können.
C) Weitere Hilfsstellen und Handreichungen
- Jugendamt (v.a. bei emSoz-Status)
- Polizei (bietet für kiezorientierte Mehrfachtäter wirksame Förderprogramme an)
- SIBUZ (bieten Supervisionen und Fallberatung an)
- GEW-Handreichung
- Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.03.2000, v.a. unter Punkt 5.2
Abschließend der Hinweis, dass man es vielleicht auch versuchen könnte, sich direkt an Prof. Dr. Ulrike Becker bzw. ihre Schule zu wenden.
Zudem noch zwei Links zu weiteren themennahen Artikeln von Prof. Dr. Ulrike Becker:
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