Ich bin Lehrer. Alle vier Jahre bekomme ich eine neue 7. Klasse und alle vier Jahre gebe ich eine, nein, meine 10. Klasse ab. Vier Jahre Beziehungsarbeit, vier Jahre gemeinsames Lernen, Leiden, Lachen, Erleben.
Zu jedem einzelnen Schüler und jeder einzelnen Schülerin könnte ich mindestens eine Handvoll Anekdoten erzählen, ich könnte mit Freude davon berichten, wie jede/r einzelne von ihnen sich in entwickelt hat. Beim Abschied fühle ich meist eine Mischung aus Traurigkeit, Stolz, Wohlwollen und Nähe. Es fühlt sich schön an, die Kinder auf den Weg zum Erwachsenwerden begleitet zu haben, Teil ihrer Bildung im weitesten Sinne gewesen zu sein. Doch dann, immer wieder, beschleicht mich ein Gefühl der Unruhe. Bin ich all meinen SchülernInnen im Rahmen der Möglichkeiten, die Schule bieten kann, gerecht geworden?
Alle vier Jahre ist die Antwort die gleiche: die SchülerInnen mit Förderbedarf habe ich am wenigsten gesehen, am wenigsten bedacht, am wenigsten professionelle Unterstützung zukommen lassen. Zumindest fühlt sich das so an. Tatsächlich wurden diese SchülerInnen von mir oftmals auch nur betreut und beschäftigt. Unsystematisch. Aus dem Bauch und der Not heraus. Ein Wortsuchrätsel hier, ein Mandala da, Satzteile zusammenfügen, Wörter verbinden. Mir ist das zu wenig. Mir bin ich als ihr Pädagoge zu wenig. Und mit ICH meine ich tatsächlich mich. Es ist kein Schulproblem. Es ist mein Problem. Es ist mein Problem, dass mir 25 SchülerInnen einbrocken, mit ihren wilden, bunten Individualitäten.
Differenziere ich in meinem Unterricht für sie? Oh ja! Differenziere ich für jeden Einzelnen? Unmöglich! Mein Differenzieren ist also notgedrungen ein Differenzieren von der Mitte aus. Vom Durchschnitt. Das Gros der Klasse pendelt darum und fühlt sich deshalb in meinem Unterricht weitestgehend gut aufgehoben. Dann ist da noch die Spitze, sie wird ebenfalls in der Planung und Vorbereitung bedacht und am Schluss differenziere ich noch nach unten. Doch was ist mit denen, die Ihre eigenen Kreise ziehen? SchülerInnen mit Downsyndrom, Autismus und "Förderbedarf geistige Entwicklung"? Sie fühlen sich für mich als planender Lehrer so ex-klusiv an. Ich aber muss nicht nur, ich will die In-klusion!
Das schöne an vier Jahren Beziehung ist, dass man Verantwortung trägt und gestalten kann. Und weil dem so ist, erachte ich das Problem, von dem ich hier rede, auch nicht als Schulproblem. Es schmeckt zwar ein wenig danach, aber es bleibt meins, da bin ich mir sicher. Denn, ist es nicht auch meine Aufgabe, die Schule und ihre Strukturen, wenn sie sich als problematisch erweisen, nach meinen pädagogischen Überzeugungen mit- und umzugestalten?
Was ich dazu und im Sinne der Inklusion brauche, ist Input von Menschen, die sich eine entsprechende Expertise erworben haben. Ich möchte von Inklusions-Experten lernen, von LehrerInnen und SchülerInnen, von KollegInnen und gleichfalls von Büchern und Filmen, von Fachartikeln und - so es denn hilft - meinetwegen auch von Rollenspielen und dergleichen. Ich möchte Innehalten, mit Muße (nach)denken, Hilfreiches entwickeln, Prozesse starten.
In diesem Sinne und der Hoffnung auf Erfüllung meines Ansinnens, habe ich mich für eine einjährige Weiterbildung zur Inklusion angemeldet. Begonnen hat sie am 16.09.2016.
Eine unserer Aufgaben ist, ein Lerntagebuch zu schreiben. Ich habe mich diesbezüglich für die Form eines Blogs entschieden. Er bietet mir diverse Vorteile. Zum einen bietet er mir die Möglichkeit erhaltene Anregungen vor dem Verlorengehen zu bewahren, sie stattdessen strukturiert und vertiefend wiederzugeben. Zum anderen hilft er mir dabei, mich in meinem Lernprozess ständig selbst zu verorten. Vor allem aber habe ich dieses Format gewählt, damit interessierte KollegInnen von den Perlen, die uns in der Weiterbildung zu Füßen gelegt werden, profitieren können. Im Sinne der Inklusion, die viele Unterstützer mit Herz und Verstand benötigt, um gelingen zu können.
Bleibt mir nur zu sagen:
Möge die Reise beginnen!
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